Nachgefragt

Depression: Eine unterschätzte Krankheit?

Obwohl in Deutschland derzeit 5,3 Millionen Menschen innerhalb eines Jahres an einer Depression erkrankten, gehört sie zu den am häufigsten unterschätzten Erkrankungen. Herr Prof. Ulrich Hegerl, von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, erklärt SPIESSER-Autorin Katharina, was man unter einer Depression versteht und warum die Krankheit unterschätzt wird.

01. December 2021 - 14:40
SPIESSER-Autorin Kathi99.
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Kathi99 Offline
Beigetreten: 01.04.2021

Wie kann mehr Aufmerksamkeit für psychische Erkrankungen geschaffen werden, damit diese weniger unterschätzt werden?

Information und Aufklärung sind wichtig. Man muss geduldig immer wieder richtigstellen, dass Depressionen schwere, eigenständige Erkrankungen sind und mehr als eine Reaktion auf schwierige Umstände. Entscheidend ist die Veranlagung, die entweder vererbt oder z.B. durch Traumatisierung und Missbrauchserfahrungen in der Kindheit erworben sein kann. Menschen mit dieser Veranlagung rutschen meist mehrfach im Leben in eine Depression, auch wenn es ihnen von außen betrachtet eigentlich gut geht, und viele haben auch erkrankte Angehörige. Liegt diese Veranlagung vor, dann können jedoch auch Lebensereignisse wie Schicksalsschläge, Partnerschaftskonflikte, Überforderungen, aber auch der Urlaubsantritt oder eine bestandene Prüfung als Auslöser fungieren.

Gibt es seit Beginn der Pandemie einen Anstieg an Depressionsfällen in Deutschland? Wenn ja, welche Bedeutung könnten die politischen Corona Maßnahmen dabei haben?

Es gibt sicherlich mehr Menschen, die durch die Maßnahmen gegen Corona gestresst sind, Sorgen und Zukunftsängste oder Schlafstörungen haben. Das sind jedoch gesunde menschliche Reaktionen auf die schwierige Lebenssituation. Ohne das Vorliegen einer Depressionsveranlagung, führt das nicht zu einer depressiven Erkrankung. Allerdings hat unsere Befragung ergeben, dass sich die Maßnahmen katastrophal auf Menschen mit einer depressiven Erkrankung ausgewirkt haben. Zum einen wurden medizinische Angebote runtergefahren und Betroffene waren so eingeschüchtert, dass sie Behandlungsangebote abgesagt haben. Zum anderen haben die Corona-Schutz-Maßnahmen einen negativen Einfluss auf Krankheitsverläufe. Lockdown und Home-Office führen zu weniger strukturierten Tagesabläufen, weniger sportlichen Aktivitäten und längeren Bettzeiten, alles Faktoren, von denen belegt ist, dass sie sich bei depressiv Erkrankten negativ auf Krankheitsverläufe auswirken. Dies erklärt, warum nahezu die Hälfte der Menschen mit Depressionen von Rückfällen, dem Auftreten von Suizidgedanken und einer Verschlimmerung dieser schweren und oft lebensbedrohlichen Erkrankung berichtet haben. Das sind hochgerechnet mehr als zwei Millionen Menschen.

Es stellt sich hier die zentrale Frage, wie viel Leid und Tod durch die Corona- Maßnahmen verhindert und wie viel verursacht wurden. Diese Frage könnte man nur beantworten, wenn systematisch Daten zu den Folgen dieser Maßnahmen erhoben werden würden. Bis jetzt erkenne ich nicht, dass die Politik dem mit ausreichender Sorgfalt und Systematik nachgegangen ist, obwohl dies Voraussetzung dafür wäre, das Nutzen-Risiko-Verhältnis zukünftiger Maßnahmen zu optimieren. Hier findet meiner Meinung nach, eine Verengung der Sicht auf das Infektionsgeschehen statt.

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist eine unabhängige gemeinnützige Stiftung, die sich für eine bessere Versorgung depressiv erkrankter Menschen und für die Reduktion der Suizidfälle in Deutschland einsetzt. Neben Forschungsaktivitäten bietet die Stiftung Betroffenen und Angehörigen vielfältige Informations- und Hilfsangebote wie ein Diskussionsforum Depression und das deutschlandweite Info-Telefon Depression (0800 33 44 533).
Derzeit sind in Deutschland 11,3% der Frauen und 5,1% der Männer an einer Depression erkrankt. Warum leiden Frauen etwa doppelt so häufig an einer Depression wie Männer?

Dies dürfte mit biologischen Unterschieden wie dem Hormonhaushalt zu tun haben. Die unterschiedliche Erkrankungshäufigkeit zeigt sich erst mit der Pubertät. Zudem haben Mädchen statistisch mehr Missbrauchserfahrungen in der frühen Kindheit und Jugend, was das Erkrankungsrisiko später im Leben erhöht. Das Phänomen, dass Frauen stärker betroffen sind, findet man auch in anderen Kulturen.

Wie wichtig sind Medikamente bei der Behandlung einer Depression?

Erst wenn man verstanden hat, dass eine Depression auch eine körperliche Erkrankung ist, die mit einer gestörten Hirnfunktion einhergeht, wird es verständlich, warum Antidepressiva Sinn machen. Die meisten Betroffenen werden mit Antidepressiva behandelt. Diese machen nicht süchtig, das heißt es gibt keine Neigung zur Dosissteigerung und es sind auch keine „happy Pillen“, die „high“ machen. Sie bringen lediglich die Krankheit zum Abklingen. Sie beeinflussen u.a. die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin im Gehirn, ohne das man den Wirkmechanismus genau verstanden hat. Die zweite Behandlungssäule ist die Psychotherapie, wobei für das Verfahren der Kognitiven Verhaltenstherapie die besten Wirksamkeitsbelege vorliegen. Manche Patienten werden auch mit Pharmako- und Psychotherapie behandelt.


Prof. Ulrich Hegerl ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung
Deutsche Depressionshilfe. Seit mehr als 30 Jahren setzt
er sich für die bessere Erforschung und Aufklärung über
Depression und Suizidprävention ein.
Kann einer depressiven Erkrankung generell vorgebeugt werden?

Die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, ist für eine Person um das 2- bis 3-fache erhöht, wenn bereits bei den Eltern eine Depression auftrat. In diesem Fall sollte man sich bereits vor Auftreten der ersten Anzeichen über Hilfsangebote informieren, damit bei Ausbruch einer Depression rechtzeitig professionelle Hilfe herangezogen werden kann. Ansonsten ist es generell für jeden ratsam, eine Balance zwischen Anspannung und Entspannung im Leben zu haben. Also soziale Kontakte zu pflegen, genug Sport zu treiben und sich gesund zu ernähren.

Wie kann ich einem Betroffenen helfen, wenn ich als Angehöriger Anzeichen einer Depression bemerke?

Als Angehöriger ist es zunächst wichtig zu wissen, dass man nicht verantwortlich ist – weder für die Erkrankung noch für die Heilung. Eine wichtige Aufgabe der Angehörigen besteht oft darin, dafür zu sorgen, dass der Erkrankte sich Hilfe holt und die Behandlung auch durchsteht. Denn die Betroffenen sind zu erschöpft und empfinden oft Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit. Zudem hilft es natürlich jedem Menschen, einen liebevollen und geduldigen Menschen an seiner Seite zu haben.

Mehr als jeder fünfte Patient bekommt keinen Behandlungstermin. Was ist der Grund für den Psychotherapeutenmangel?

Ich sehe ein noch gravierenderes Problem darin, dass es auch beim Facharzt, d.h. beim Psychiater mehrwöchige Wartezeiten gibt, da dort häufiger die schwerer Erkrankten behandelt werden. Fachärzte können mit Pharmako- und Psychotherapie behandeln, was bei einer Depression oft notwendig ist. Psychologische Psychotherapeuten sind Psychologen mit einer speziellen Ausbildung in Psychotherapie, die wie die Ärzte über die Kasse abrechnen können. Hier sind die Wartezeiten bis zum Beginn einer richtigen Psychotherapie oft noch länger. Nicht zu vergessen sind zudem die Hausärzte, die im ambulanten Bereich einen Großteil der depressiv Erkrankten behandeln, meist mit Antidepressiva.

Du brauchst Hilfe?
Falls du das Gefühl hast du oder eine nahstehende Person leidet unter Depressionen oder anderen psychischen Problemen, wende dich an deinen Hausarzt.                                                             Andere Anlaufstellen (teils anonym) sind:    
- das deutschlandweite Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
- Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression unter www.deutsche-depressionshilfe.de
- fachlich moderiertes Online-Forum zum Erfahrungsaustausch www.diskussionsforum-depression.de
- Hilfe und Beratung bei den sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter
- Für Angehörige: www.bapk.de und www.familiencoach-depression.de  

Text: Katharina Ziegler
Bilder:
Yuris Alhumaydy von Unsplash (Teaserbild), Katrin Lorenz (Bild Prof. Hegerl), Christine Hume von Unsplash (Bild Infobox)

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