Ein türkischer Passagier stellt seinen Rucksack auf die Handgepäckwaage: 12 Kilogramm – zwei Kilo über dem Limit. „Kein Problem, ich kann umpacken!“, erklärt er und öffnet den Reißverschluss. Er holt zwei große Fladenbrote heraus und stopft sie in die Seitentaschen seiner Jacke. Dass die Brote dabei kaputt brechen, stört ihn nicht. Sein Rucksack wiegt jetzt knappe 10 Kilo. Mein Kollege und ich lassen ihn passieren. Theoretisch hätte er für zwei Kilo Übergepäck 20 Euro bezahlen müssen.
Sicherheit, wohin man schaut
Willkommen am Flughafen Lübeck!
Solche Ausnahmen blieben bei meinem sechsmonatigen Nebenjob die Seltenheit. Meine Arbeit am Flughafen Lübeck war von vielen gesetzlichen Bestimmungen und Regeln durchzogen. Um überhaupt am Flughafen arbeiten zu dürfen, benötigte ich ein polizeiliches Führungszeugnis – natürlich lupenrein. Ich durchlief einen Lehrgang über die Vorschriften zur Beförderung gefährlicher Güter im Luftverkehr. Zusätzlich erhielt ich eine Luftsicherheitsschulung. Darin ging es auch um terroristische Gefahren und deren Abwendung. In einer weiteren Schulung qualifizierte ich mich als Sicherheitspersonal zur Bordkartenkontrolle.
Um das besser zu veranschaulichen: Drei Ryanair-Flüge überschneiden sich. Hunderte Passagiere stehen in der Warteschlange – sammeln sich bis vor die Tür des Terminals. Viele reisen mit zwei Koffern. Manche haben sperriges Sportgepäck wie Golfequipment oder Skiausrüstungen dabei. Zwei weitere Kollegen und ich überprüfen die Personalien der Passagiere, checken die Bordkarten und die Passagierlisten. Nur, wenn das Gepäck äußerlich unversehrt ist, Anzahl und Gewicht korrekt gebucht sind, bekommt es ein Label und wird verladen. Der Verdacht auf das Mitführen gefährlicher Gegenstände ist auszuschließen. Zu den verbotenen Gegenständen zählen unter anderem Feuerwerkskörper und Bleichmittel.
Auch in hitzigen Situationen die Ruhe bewahren
Schlangenbildung vor dem Check-In
„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst?“, guckt mich ein Familienvater entgeistert an. „Doch, Sie haben die Bordkarten nicht ausgedruckt. Sie haben jeder einen Koffer, also müssen Sie jetzt insgesamt 510,00 Euro nachzahlen. Das sind die Regeln von Ryanair“, erkläre ich ihm sachlich. Er schüttelt den Kopf, hat kein Verständnis. Dennoch greift er nach seinem Portemonnaie. Gleichzeitig stößt ihn seine Frau von hinten an. „Was machst Du jetzt? Das kannst Du Dir ja wohl nicht bieten lassen! Wir haben für den Flug bezahlt, also mach was!“, schnauzt sie ihn wütend an. Die Tochter verdreht die Augen, findet ihre Eltern sichtlich peinlich. Für Konfliktgespräche habe ich am Check-In-Schalter keine Zeit. Ich rufe meinen Supervisor - er muss das regeln.
Neben dem Check-In zählten auch die Bordkarten- und Handgepäckkontrolle sowie die Betreuung der Fluggäste bei der Ankunft und beim Abflug am Gate zu meinen Arbeitsfeldern. Wann ich wo eingeteilt war, entnahm ich dem Schichtplan. Zu jedem Flug gehörte die Vor- und Nachbereitung im Backoffice, das Erstattungsmanagement für beim Verladen beschädigtes Gepäck sowie die Verwaltung verlorener und gefundener Sachen. Die Arbeitszeiten richteten sich nach dem Flugplan – jeder Tag war anders. Der Lohn wurde im 450-Euro-Vertrag geregelt, wobei ich immer gut auf meine Stunden kam.
Belohnung muss sein
Christoph stolz an Bord der Cessna.
Von dem ersten Geld, das ich mir verdiente, gönnte ich mir einen Probeflug. Ich weiß noch genau, wie es war, als der Pilot die Kennung der kleinen Cessna 150 im Nato-Alphabet durch das Headset buchstabierte. Mit der Starterlaubnis vom Tower tuckerten wir langsam auf die Runway. Wir flogen entlang der Lübecker Bucht. Der Strand und der Yachthafen erinnerten mich an die Luftaufnahmen aus Miami Beach, wie ich sie aus dem Fernsehen kannte. Und auch das sehr ungewohnte, durchdrückende Bauchgefühl beim steilen Landeanflug bleibt für mich in bester Erinnerung. „Und, kann er fliegen?“, fragte der Flugschullehrer später den Piloten. „Ja, kann er!“, grinste er mich an.
Verschiedenste Kulturen trafen am Flughafen aufeinander: Afghanen, Italiener, Spanier, Asiaten und Polen teilen sich gemeinsam eine Boeing – mit und ohne Kopftuch, in orientalischen Gewändern, Mönchskutten, vornehm im Anzug oder einfach in Shorts und Turnschuhen. Dazu kamen die entsprechenden Gerüche von Weihrauch, Tabak, Knoblauch, Parfum oder Schweiß. Und so gab es auch Stunden, wo ich nicht zur Ruhe kam. Ich fühlte mich aufgedreht. Manchmal verfolgte mich der Job bis in die Nacht hinein – träumte davon. Die vielen Menschen mit ihren Emotionen und Eigenarten, die ich innerhalb kürzester Zeit erlebte, belasteten mich. Ein Tag kam mir manchmal vor wie eine Woche. Wer diesen Job langfristig ausübt, braucht einen guten Ausgleich, um sich zu regenerieren.
Text: Christoph Krelle
Teaserfoto: Flickr-User Dirk Vorderstraße (CC BY 2.0)
Fotos: Flickr-User Marzia Teramo (CC BY-SA 2.0), Privat