Freitagmorgen, noch eine Woche bis zu den Ferien: Poetry-Slammerin Julia Engelmann hat sich trotzdem in eine 12. Klasse der Oberschule an der Egge in Bremen gewagt. Dort hat sie mit den Abiturienten in spe über ihre Stärken und Schwächen gesprochen und allen eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein verpasst.
12. October 2014 - 10:55 SPIESSER-Redakteurin MissFelsenheimer.
Julia: Guten Morgen! Klasse murmelt. Ich weiß, es ist früh, aber wir schaffen das schon. Weil ich nicht alle einzeln begrüßen kann, tut es für mich und gebt eurem Nachbarn die Hand. Artiges Händeschütteln beginnt. Für den Unterricht habe ich mir überlegt, was ich früher gern gehabt hätte. In der engeren Auswahl stand Statistik. Schlagartig frieren einige Gesichter ein. Aber keine Sorge, wir machen kein Mathe. Ich möchte mit euch besprechen, warum es gut ist, man selbst zu sein. Das Fachwort dafür ist Authentizität. Was bedeutet das? Betretenes Schweigen. Traut euch, bei dieser Frage gibt es kein Richtig und kein Falsch.
Leon: Eventuell hat es etwas damit zu tun, dass man in einer Gruppe ist und da seinen eigenen Stil auslebt.
Julia: Was braucht man dafür?
Mara: Selbstbewusstsein.
Großes Lehrervorbild: Julia hat extra Arbeitsblätter
in petto.
Julia: Was stellt ihr euch darunter vor?
Mara: Dass man seine eigene Meinung vertritt.
Julia: Wie funktioniert das?
Lisa: Man muss wissen, wo die eigenen Stärken liegen. Ich kann zum Beispiel gut mit Pferden umgehen. Das gibt mir Selbstvertrauen und damit kann ich selbstbewusst auftreten.
Julia: Das ist die perfekte Antwort! Oft verbindet man mit Selbstbewusstsein laute Leute oder Angeber, aber das muss nicht sein.
Regina: Man sollte auch wissen, was man nicht so gut kann.
Julia: Genau! Ehrlich zu sich selbst sein. Das muss nichts Schlimmes sein, sondern ist einfach so. Wichtig ist auch, dass ihr eure eigenen Werte kennt. Nur wenn ich das weiß, kann ich dafür auch geradestehen und das nach außen tragen. Ist das für euch einigermaßen plausibel? Einige Köpfe nicken. Dann lasst uns über eure Stärken und Schwächen nachdenken. Um mein Lehrerdasein voll auszuschöpfen, habe ich Arbeitsblätter für euch vorbereitet. Das wird nicht bewertet, sondern ist nur für euch. Ich gebe euch fünf Minuten.
Einige Schüler fangen gleich an zu schreiben, andere starren das Blatt nur an oder kauen nachdenklich auf ihren Stiften. Fünf Minuten später setzt allgemeines Gebrabbel ein.
Julia: Ich habe gesehen, dass bei einigen von euch noch Zeilen frei sind. Lasst uns deshalb gemeinsam überlegen: Was sind Stärken?
Julia: Genau. Und jetzt suchen wir Beispiele dafür.
Regina: Ehrlichkeit, Toleranz, Geduld, Treue.
Leon: Wenn man hilfsbereit ist.
Vivien: Humorvoll sein und gut zuhören.
Julia: Drei Sachen finden wir noch!
Josefine: Fürsorge.
Vivien: Leichtgläubig sein?
„Ich kann gut Hip-Hop. Und du so?"
Julia: Okay, da müssen wir drüber reden. Klasse lacht. Leichtgläubig verbinde ich eher mit naiv im negativen Sinne. Aber Vertrauen zu haben und leicht etwas zu glauben, kann durchaus eine Stärke sein. Eine Sache noch?
Regina: Teamfähig sein.
Julia: Sehr schön! Dann gebe ich euch noch mal zwei Minuten, ihr schaut auf eure Zettel und füllt die restlichen Zeilen aus. Emsiges Schreiben beginnt. Jetzt haben wir viel über Stärken gesprochen. Das auszuleben, gehört aber auch dazu. Deshalb würde ich euch bitten, eurem Nachbarn je zwei von euren Stärken laut zu sagen. Auf die Plätze, fertig, los! Gesagt, getan. Okay, jetzt sind tumultartige Situationen entstanden. Wie war das für euch, laut dem anderen zu sagen, was ihr gut könnt?
Josefine: Im ersten Moment fand ich es komisch, weil man irgendwie eingebildet klingt, so laut zu sagen, was man gut kann. Aber als es dann alle getan haben, hat sich das gut angefühlt.
Nina: Mir fiel es überhaupt nicht schwer, weil ich weiß, was ich gut kann und kein Problem damit habe, es laut zu sagen.
Julia Engelmann
Die 22-jährige gebürtige Bremerin wurde Anfang 2014 über YouTube und Facebook bekannt. Das Video ihres Slams „Eines Tages, Baby…“ klickten über sechs Millionen Menschen an. Bühnenerfahrung sammelte sie schon beim Theater Bremen und in der Rolle der Eishockeyspielerin Franziska Steinkamp in der RTL-Soap „Alles was zählt“. Wenn sie nicht gerade an neuen Gedichten schreibt oder moderiert, studiert sie Psychologie.
Julia: Warum ist es also gut, man selbst zu sein?
Mara: Weil man ehrlich zu sich selbst ist. Wenn man seine Stärken kennt, muss man sich nicht verstellen.
Julia: Und es ist total anstrengend, wenn man sich dauernd verstellen muss. Und ihr seht es anderen auch an. Früher oder später kommt alles ans Licht.
Regina: Irgendwo geht einem auch der Wiedererkennungswert flöten.
Julia: Deshalb steht zu euch. Ihr seid das Original und keine Kopie. Und vielleicht motiviert ihr damit andere dazu, auch sie selbst zu sein.
Abgucken ist nicht! Fleißig schreiben die Schüler
Postkarten an sich selbst.
Es wird Zeit für einen Tapetenwechsel.
Julia: Lasst uns den Rest der Stunde draußen verbringen, das Wetter ist zu schön! Fünf Minuten später sitzen alle wie die Hühner auf der Stange auf dem Schulhof. Ich habe für jeden eine Karte und einen Umschlag.
Ein Mädchen fordert Rosa.
Julia: Du sollst Rosa bekommen. Jetzt kommt die Probe aufs Exempel. Ihr dürft euch selbst eine Postkarte schreiben und zeigen, wie sehr ihr ihr selbst seid. Ich gebe euch zehn Minuten zum Schreiben. Ihr könnt euch alles schreiben, das wird niemand lesen. Die Karten schicke ich euch nach den Sommerferien. Wenn ihr fertig seid, seid ihr entlassen!
Alle stürzen sich auf die verschiedenen Farben und Umschläge. Zum Stundenende sammelt Julia die vollgeschriebenen Karten strahlend wieder ein.
Fazit aus der Klasse:
Mara, 19
Ich fand die Stunde sehr interessant. Schade, dass nicht alle mitgemacht haben.
Note: 1-
Lisa, 17
Ich hätte es cool gefunden, wenn Julia uns was von ihrer Schauspielerfahrung erzählt und gezeigt hätte.
Note: 2+
Leon, 17
Ich habe unheimlich viel gelernt. Obwohl ich sehr selbstbewusst bin, weiß ich jetzt, dass man noch auf ganz andere Dinge achten kann.
Note: 2+
Text: Victoria Gütter
Fotos: Daniel Scholz Video: Timo Schmidt
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