Mittwochmorgen, halb neun, vereinzelt hetzen noch Menschen zur Straßenbahn, die Autos stauen sich an der Ampel. Vom dem geschäftigen Berufsverkehr bekomme ich kaum etwas mit, denn ich sitze in einem Café in der Dresdner Neustadt. Dort treffe ich heute Luise. Luise arbeitet in der Dresdner Zeltstadt, einer Auffangstation für Flüchtlinge, die vor allem auf Grund großer Missstände in die Kritik und Medien geraten ist: abgelaufene Sanikästen, fehlende Toiletten, kein fließendes Wasser.
Vom Schreibtisch in die Zeltstadt
Fragen über Fragen schwirren mir im Kopf herum, während ich auf die junge Frau warte. Als sie sich schließlich zu mir setzt und an einem Café Latte nippt, kommen wir sofort ins Gespräch. Ich erzähle ihr von meinen Plänen, ein soziales Praktikum im Ausland zu absolvieren. Sie selbst war nach ihrem Bachelor in Afrika an einer Schule beteiligt und gibt mir sogleich an paar nützliche Tipps.
Gerade hat die 26-jährige gebürtige Dresdnerin ihre Masterarbeit zum Thema „geflüchtete syrische Frauen in Dresden“ geschrieben. Aus diesem Grund setzt sie sich seit circa einem Jahr intensiver mit der Flüchtlingsproblematik auseinander. Beschäftigt hat sie dieses Thema aber schon länger, da ihr Freund Syrer ist. Dieser lebt, im Gegensatz zu seinem Bruder, schon 17 Jahre hier und arbeitet ebenfalls als Ehrenamtlicher im Camp. Die beiden holten seinen Bruder vor knapp einem Jahr über das Bundesaufnahmeprogramm nach Dresden. Dabei können Angehörige, die bereits länger hier leben, einen Antrag stellen. Aus einem Pool von circa 80.000 Anträgen wurde Luises Schwager ausgewählt.
„Meine Aufgaben sind bunt gemischt“
Die selbstbewusste Frau steckt viel Zeit in ihre ehrenamtliche Arbeit. Normalerweise ist sie als Hospizhelferin aktiv und leitet im Akifra-Verein (Aktionsgemeinschaft für Kinder-und Frauenrechte), in dem sie seit ihrem Afrikaaufenthalt Mitglied ist, ein Schulprojekt. In Dresden organisiert Luise mit ihrem Verein viele Aktionen, um Flüchtlingen hier das Leben zu erleichtern. Stolz erzählt sie mir: „Ich bin dabei, Tandempatenschaften zwischen Geflüchteten und interessierten Dresdnern zu vermitteln.“ Darüber hinaus wurden in einer großen Aktion Fahrräder und Kinderspielzeug für die Flüchtlingskinder gesammelt und im Friedhofspark gegenüber der Zeltstadt, gibt es ABC-Tische, an denen momentan Deutschunterricht stattfindet.
Schon bevor die Zeltstadt eröffnet wurde, war für Luise klar, „sobald es zeitlich möglich ist, möchte ich dort mithelfen.“ Vom ersten Tag an verfolgte sie alle Meldungen aufmerksam. Seit Luise ihre Masterarbeit beendet hat, ist die Zeltstadt ein Teil ihres Alltags geworden. So oft wie möglich ist sie nun dort und selbst zu Hause überlegt sie, was für Projekte man noch aufziehen könnte.
Im Camp sind ihre Aufgaben bunt gemischt: mal arbeitet sie an der Essens- und Getränkeausgabe, mal kümmert sie sich um die Kinderbetreuung, bringt den Kleinen Deutsch bei. Auch an der Spendenausgabestelle, an der sich die Leute beispielsweise ihre frische Wäsche abholen können, hat Luise ausgeholfen. Wie oft und lang Luise in der Zeltstadt arbeitet, ist von ihren Arbeitszeiten im Restaurant abhängig, in dem sie nebenbei jobbt. Mittlerweile gibt es für Ehrenamtliche auch feste Dienstpläne. Wer zum Dienst eingeteilt wird, ist in der Regel acht Stunden vor Ort.
Wer in Sachsen selbst aktiv werden möchte, kann eine Mail an fluechtlingshilfe@drksachsen.de schreiben, oder all seine Daten direkt beim DRK vor Ort hinterlassen. Wer erst mal nur Kontakt zu den Menschen aufnehmen möchte oder Interesse an den ABC-Tischen hat, kann einfach in Dresden vorbeikommen oder sich in eine Doodle-Liste eintragen.
Bewunderung statt Anpacken
Luises Umfeld reagierte mit Bewunderung auf ihr Engagement. Sätze wie: „Es ist so toll, dass du das machst, aber ich könnte das nicht“, kennt sie von ihrer Zeit in Afrika. Die junge Frau weiß, dass das, was sie tut, nicht selbstverständlich ist und für viele eine große Hürde darstellt. Zumindest ihre Eltern, Schwester und einige Freunde konnte sie überzeugen, in der Zeltstadt mitzumachen.
„Mittlerweile kommt ein wenig Struktur ins Camp“, erzählt mir die Masterabsolventin. Doch am Anfang ging alles drunter und drüber. Vor allem während der andauernden Hitzewelle brachten hygienische Probleme Chaos ins Camp.
Momentan leben in der Zeltstadt knapp 1.000 Menschen (Stand August 2015). Manche warten bis zu drei Wochen auf ihre medizinische Untersuchung. Kein Wunder, dass sich besonders am Anfang schnell Krankheiten ausbreiten konnten. Seit einiger Zeit gibt es nun immerhin einen Erstversorgungscontainer auf dem Gelände und eine Arztpraxis für Flüchtlinge, um alles zu beschleunigen.
Mit Bildung gegen Asylgegner
Inzwischen haben wir September. Hitze wird in Zukunft wohl kein Problem mehr sein. Was passiert jedoch mit der Zeltstadt, wenn es kälter wird und die Tage kürzer werden? Die Zelte sind für Temperaturen unter null Grad nicht ausgelegt. „Es ist allen klar, dass die Leute im Winter nicht in den Zelten bleiben können“, stimmt mir Luise zu. Im Moment organisiert man Container, um in einem anderen Teil der Stadt eine „Containerstadt“ aufzubauen.
Wenn es um „Asylgegner“ und Problemstädte wie Heidenau geht, sieht die junge Frau nur eine Lösung: Bildung. Darüber hinaus muss in den Augen von Luise sehr viel Aufklärungsarbeit in Form von Infobroschüren oder Kurzfilmen in Kinos und Straßenbahnen geleistet werden. Vielen Leuten ist nicht bewusst, dass „es keine einmalige Sache wie die Flut ist, die nach ein paar Tagen wieder weg ist“, erklärt Luise voller Ernst. „Das ist was, das uns die nächsten Jahre beschäftigen wird.“
Damit endet unser Gespräch und ich bin beeindruckt. Luise hat mir noch einmal vor Augen geführt, wie einfach man helfen kann. Daheim werde ich als erstes meinen Kleiderschrank aussortieren und einen Teil zur Spendenstelle bringen. Damit leiste ich zwar nur einen kleinen Beitrag, doch ich weiß, dass zumindest ein Mädchen im kommenden Winter nicht frieren muss.
Text: Anne Nentwig
Foto: U.S. Air Force photo by Tech. Sgt. Cecilio M. Ricardo Jr.