Frühling 2019: Feminismus

Schämt euch nicht, auf eurer eigenen Seite zu stehen

Im Sommer 2017 ging ich mit einer guten Freundin zum Shoppen. Ich fand ein graues Shirt mit einem schwarzen Schriftzug: „FEMINIST“ stand quer über der Brust.

10. April 2019 - 16:04
SPIESSER-AutorIn Irina_H..
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Irina_H. Offline
Beigetreten: 20.02.2019

Ich war direkt verliebt, meine Freundin aber wollte mir den Kauf ausreden. Ein solches Statement berge doch so viel Konfliktpotenzial! Natürlich kaufte ich das Shirt trotzdem, die Reaktionen darauf sprachen für sich. Viele zogen die Augenbrauen hoch, grinsten spöttisch oder warfen mir unqualifizierte Kommentare an den Kopf. Was dazu führte, dass ich das Shirt erst mal in die hinterste Schrankecke verbannte. Ich recherchierte im Internet, las Bücher und suchte nach Foren und Blogs, die sich mit Feminismus beschäftigten. Am Ende widmete ich sogar meine Masterthesis dem Thema. Weshalb wirkt eine soziale Bewegung derart abschreckend?

Heute, nachdem ich mich über sechs Monate damit auseinandergesetzt habe, bin ich der Meinung, dass dieses negative Image vor allem auf Missverständnissen beruht. Gerade weil jeder von uns früher oder später damit in Berührung kommt, haben wir alle eine Meinung zum Feminismus. Trotzdem kennen sich nur wenige wirklich damit aus. Wissenslücken füllen wir meist mit Klischees oder Fremdmeinungen. Bis heute hält sich das Bild der hässlichen, frustrierten Emanze, die Sex verabscheut und Männer hasst. Wer gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter kämpft, hat demnach weniger Zeit für sein Äußeres. Trotzdem bezieht sich der Vorwurf der Hässlichkeit weniger auf die Optik, sondern darauf, dass Feministinnen etwas Hässliches tun – nämlich ein Stück vom Kuchen fordern, das genau so groß ist wie das der Männer.

Außerdem scheint es paradox, dass ausgerechnet Feministinnen etwas gegen Sex haben sollen. Schließlich kämpfen sie seit Jahren für eine befreite Sexualität der Frau. Feministische Kritik am Sex hat eher mit dem gesellschaftlichen Bild davon zu tun. Sex sollte kein Akt sein, bei dem die Frau nur passive Teilnehmerin ist, sondern allen Beteiligten Spaß bringen. Deshalb ist es auch völliger Quatsch, dass Feministinnen grundsätzlich Männer hassen sollen. Diese können sogar hervorragende Verbündete sein. Feminismus hält für beide Geschlechter neue Perspektiven bereit.

„Feministinnen tun etwas Hässliches – nämlich ein Stück vom Kuchen fordern, das genau so groß ist wie das der Männer.“

Neben diesen alltäglichen Klischees gibt es auch Gruppen, die per se etwas gegen Feminismus haben. Antifeministen sind nicht im Geringsten an den Chancen des Feminismus interessiert und gehen aktiv dagegen vor. Mit Frauen haben sie zwar meist kein Problem, dafür aber mit der Frauenbewegung. Früher kämpften Anti-Feministen vor allem gegen Frauen, die selbst arbeiten gehen wollten. Heute geht es eher um Dinge wie den sogenannten Genderwahn. Auch viele Frauen empfinden Feminismus als verstaubt und heutzutage völlig überflüssig. Viele von ihnen wuchsen bereits mit den Errungenschaften der Frauenbewegung auf und haben nie Erfahrungen mit Benachteiligung aufgrund des Geschlechts gemacht. Die Frauenquote gilt als Vorteilsbeschaffung, Sexismusdebatten werden als Erfindung hysterischer Weiber betrachtet.

Die Frage, die ich mir in meiner Masterarbeit stellte, war, ob möglicherweise auch ein Kommunikationsproblem dahinterstecken könnte. Deshalb untersuchte ich die Artikel von drei verschiedenen Onlineseiten über einen Zeitraum von drei Monaten – mit überraschenden Ergebnissen. Alle drei Seiten veröffentlichten zwar verständliche Artikel. Die feministischen Medien kommunizierten jedoch sachlicher und glaubwürdiger als die Antifeministen. Wenn aber die Gegner weniger gut kommunizieren, müsste das ja das Image des Feminismus verbessern! Den Grund für das negative Image konnte meine Masterarbeit also nicht vollständig klären. Ich vermute weiterhin eine Mischung aus allen Faktoren. Woran es aber mit Sicherheit mangelt, ist Verständnis und der Wille zu einem besseren Miteinander.

Mittlerweile trage ich mein „FEMINIST“-Shirt wieder voller Stolz. Immer noch treffe ich auf Personen, die mich direkt in eine Schublade stecken. Dagegen hilft Aufklärung. Und die erreichen wir durch ständige, offene Kommunikation untereinander. Deshalb bin ich auch gerne bereit, immer wieder zu erklären, warum ich mich selbst „Feministin“ nenne. Das ist nicht immer einfach, aber immer lohnenswert. Wir sollten uns nicht schämen, auf unserer
eigenen Seite zu stehen.

 

Text: Irina Heß, ist der Meinung, dass der letzte Schritt zur Gleichbehandlung der Geschlechter noch getan werden muss. Gerne auch auf High Heels.
Foto: Sarah Albrecht
Teaserbild: Lena Schulze

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