Samstagabend, ich radel bei leichtem Nieselregen durch einen Altstadtring von Amsterdam, entlang der Grachten. Ich bin auf dem Weg zu „De Balie“, einer politischen Theaterbühne, auf der heute Abend ein besonderes Event stattfindet: Die jüngsten Kandidaten der beliebtesten Parteien sind eingeladen, um mit Jugendlichen über die Parlamentswahl am 15. März zu diskutieren. Dort angekommen treffe ich Nienke, eine 20-jährige Amsterdamerin, die sich noch unsicher ist, welche Partei sie wählen soll: Die progressiv-ökologische Groen-Links oder die sozialliberale D66. Diese beiden Parteien genießen auch unter den anwesenden Studenten überdurchschnittlich viel Unterstützung. An Groen-Links gefällt Nienke, dass sie eine Steuer auf Fleisch fordern. Aber bei D66 überzeigt sie die fortschrittliche Bildungspolitik. Nienke hofft, dass ihr die Diskussion hilft, eine Entscheidung zu treffen.
Politik für Jugendliche sexy machen?
Neben den beiden Oppositionsparteien Groen-Links und D66, sind auch die beiden Regierungsparteien vertreten. Derzeit formt in den Niederlanden die rechts-liberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) unter Ministerpräsident Mark Rutte eine Koalition mit der sozialdemokratischen PvdA. Aber die Partei, die laut Umfragen unter jungen Wählern am beliebtesten ist, schickt heute Abend keinen Vertreter. Der Stuhl der rechtsnationalen Partij voor de Vrijheid (PVV) bleibt leer. Die PVV gilt generell als medienscheu und kommuniziert, abgesehen von gezielten Fernsehauftritten von Geert Wilders, vor allem über die sozialen Medien. Aber unter jungen Amsterdamern erhofft sich die PVV sowie nicht viele Stimmen – ihre Kernwählerschaft, liegt außerhalb der Hauptstadt.
Die Kandidaten, die anwesend sind, sind zwar schon alle über 25, gehören aber immer noch zu den jüngsten Parlamentsanwärtern. Heute Abend nennen sich alle beim Vornamen: Dennis für die VVD, Zihni für Groen-Links, Jan für D66 und Giselle für die PvdA – alle vier tragen Turnschuhe. An der Decke des Veranstaltungsraumes hängt eine einsame, leicht beleuchtete Diskokugel und auf dem Boden sitzen etwa 80 Jugendliche auf Sitzkissen. Man hat sich offensichtlich Mühe gemacht eine „jugendliche“ Atmosphäre zu schaffen. Die Scheinwerfer sind auf die Politiker gerichtet. Es kann losgehen.
Zihni, Giselle, Dennis, Jan (v.l.)
Auf die Plätze. Fertig. Los!
Die Themen, durch die uns die beiden Moderatoren von Vice-Nederland führen, reichen von Bildungs- bis Klimapolitik. Die Diskussion verläuft sachlich und freundlich – holländisch halt. Meist hat das Publikum und die Parteien des linken Spektrums (PvdA, Groen-Links und D66) ähnliche Meinungen, sodass die rechtsliberale VVD ein bisschen isoliert wirkt. Die Debatte wird immer wieder durch kleine thematische Videos und Auftritte von politischen Rappern unterbrochen, um auch ja nicht die Aufmerksamkeit der Millenials im Publikum zu verlieren.
Den größten Aufreger des Abends löst die 19-Jährige Shewit aus. Sie erzählt wie sie als Afro-Niederländerin Erfahrungen mit Diskriminierung im Arbeitsmarkt gemacht hat und sich deshalb gegen Rassismus engagiert. Sie fragt die Politiker: „Was wollt ihr dagegen tun?“ Während die meisten Parteien mit Verständnis und verschiedenen Vorschlägen wie anonymen Bewerbungsverfahren antworten, sagt Dennis (VVD) Diskriminierung sei zwar schlimm aber um sich am Arbeitsmarkt durchzusetzen, müsse jeder nun mal hart an sich arbeiten. Dafür erntet Dennis Buh-Rufe aus dem Publikum, rudert zurück und meint er habe das nicht so gemeint. Shewit wollte hören, was Politiker gegen Diskriminierung machen wollen, nicht, dass sie härter arbeiten muss, wenn sie diskriminiert wird. Nach der Veranstaltung sagt sie mir: „Ich bin froh, dass es so gekommen ist. So hat er wenigstens sein wahres Gesicht gezeigt.“ Trotzdem wirkt sie enttäuscht.
Platzt die Amsterdam Blase bald?
Als sich die Debatte dem Ende neigt, bemerkt Jan von D66: „Wir haben den ganzen Abend weder Wilders noch Trump erwähnt, sondern uns tatsächlich über Sachthemen ausgetauscht.“ Große Angst vor einem rechtspopulistischen Umschwung durch Wilders spürt man hier tatsächlich nicht – hoffentlich zurecht. Die Journalistin Charisma Pical, die für das Magazin „De Correspondent“ über das Wahlverhalten junger Wähler schreibt, sieht es nicht unkritisch den Rechtspopulismus einfach auszublenden: „Amsterdam ist eine progressive Blase. Außerhalb der Hauptstadt reden die Jugendlichen nicht nur über Klima und Diskriminierung, sondern viele wählen auch rechte Parteien.“ Es mag vielleicht angenehmer sein, sich nicht mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus auseinanderzusetzen, aber der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft wird so nicht entgegengewirkt.
Im Gegenteil, die Entfremdung verschiedener Landesteile und gesellschaftlicher Gruppen nimmt zu. Zudem sind die meisten jungen Menschen nicht so interessiert an Politik und weltoffen wie heute Abend im „Balie“. 33 Prozent der jungen Generation haben in der letzten Wahl gar nicht gewählt und die Bindung an Parteien ist sehr gering. Immer wieder wurde deshalb betont: „Geht wählen und ermutigt eure Freunde dazu!“ Nienke hat die Diskussion auf jeden Fall sehr gefallen. Sie ist sich noch nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich wird sie Groen-Links wählen. Dass sie wählen geht, ist sicher.
Text & Fotos: Noah Schöppl