Stichwort: Fridays for Future – wie kommt es dazu, dass Jugendliche auf einmal die Stimme erheben? Dass sie auf den Schulabschluss keinen Wert mehr legen, sondern für die Umwelt demonstrieren. SPIESSER-Autorin Marlene hat sich einmal Gedanken über ihre eigene Jugend gemacht.
21. November 2019 - 09:13 SPIESSER-Autorin Marlene Vol.
Vorab: Das hier ist total subjektiv. Keine Beweise, einfach nur ein paar Gedanken. Ich finde es total bewundernswert, wie sehr sich Jugendliche politisch einsetzen, weil ich das aus meiner Schulzeit überhaupt nicht kenne. Ich bin 1994 geboren, also die Generation Y, bin 2005 aufs Gymnasium gekommen und das Fach Politik hatte ich, soweit ich mich erinnere, nur noch bis zur sechsten Klasse.
Wie ich auf das Thema Schule gekommen bin, ist eigentlich ganz offensichtlich: die Stadt Mannheim hat sich nun doch dagegen entschieden, Strafen für streikende Schüler zu verlangen. Klar, der Aufschrei ist berechtigt, dass Jugendliche, die für die Zukunft kämpfen, Strafen drohen können, dennoch habe ich mich – quasi auf den zweiten Blick – gefragt, was uns damals geblüht hätte, wenn wir einfach die Schule verlassen hätten, um zu streiken. Was die Strafe genau gewesen wäre, keine Ahnung, aber: Ärger hätte es gegeben. Wobei wir die Schule gar nicht in dem Ausmaß hätten verlassen können. Von dem Dörfchen, in dem ich zur Schule gegangen bin, in unsere Kreisstadt fährt – Stand jetzt – einmal die Stunde der Linienbus und hinterher hätten wir auch noch in unsere Heimatdörfer kommen müssen. Unauffällig zum Streik fahren wäre also schwierig gewesen, streiken war aber eh nicht in meinem Horizont. Das soll jetzt eigentlich keine Abrechnung mit meiner eigenen traurigen Kindheit sein, ich frage mich jedoch: Warum sind die Jugendlichen politischer als wir damals? Oder sind sie es überhaupt? Auch bei mir in der Schule waren Leute in Parteien oder haben sich engagiert. Aber dass sich eine ganze Gruppe gebildet hätte, um für irgendwas einzustehen? Nicht während ich zur Schule gegangen bin.
Wenig Bezug zur Politik in der Schule
Natürlich haben wir in verschiedenen Fächern über Monsanto oder andere Firmen geredet, haben „Brave New World“, „Die Welle“ und leider auch „Buddenbrooks“ gelesen, haben in Geschichte von den alten Griechen bis zum Aufkommen des Internets alles behandelt, aber das werden die Jugendlichen von heute ja auch alles durchleiden müssen. An der Schule kann es also nicht liegen, ich kann aber auch nicht prüfen, wie sehr sich Schulen mittlerweile den Interessensschwerpunkten Jugendlicher angepasst haben und mehr auf (klima)politische Themen eingehen. Vielleicht liegt es ja an meinem Freundeskreis, wir haben eigentlich nie über Politik gesprochen, jetzt nicht und schon gar nicht in der Schulzeit.
Studien auf der Suche nach den Gründen
Es gibt zu dem Thema übrigens auch Studien, wie die Shell-Studie, die Jugendliche zwischen 12 und 25 befragt. Der „Süddeutschen Zeitung“ gegenüber sagte der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, der an der Hertie School of Business arbeitet und an den Studien beteiligt ist, dass man bei Jugendlichen ein stärkeres Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft und das Gemeinwohl beobachten könnte. Vor 15 Jahren hätte man das bei den Jugendlichen nicht erkennen können, sagt er auch in einem Gespräch vor den Wahlen 2019. Damit bestätigt er das, was ich auch – wie gesagt ganz subjektiv – erlebt habe. Früher war das Interesse der Jugendlichen geringer. Es heißt in der Studie von 2015 auch, dass die junge Generation und deren Interesse an Politik sehr stark davon abhinge, wie die wirtschaftliche Situation zu dieser Zeit sei. Wirtschaftlich schwierige Zeiten würden dafür sorgen, dass das politische Interesse sinke. Jugendliche würden dann versuchen, eine Absicherung zu schaffen. Denke ich an meine Schulzeit zurück, war diese nicht von wirtschaftlichen Problemen bestimmt. Klar, man hat mitbekommen, wie die Lehmann Brothers damals zusammengebrochen ist, betroffen waren wir aber irgendwie nicht direkt. Außerdem heißt es in dem Artikel in der „SZ“ weiter, dass die Jugendlichen jetzt auch in der Lage seien, sich in einer Gruppe zu organisieren und eigentlich stimmt auch das: Wie hätten wir uns denn damals in der nordrhein-westfälischen Provinz, teilweise anfangs sogar ohne Handynetz, als große Gruppe verständigen sollen? Internet gab es natürlich schon, aber man hatte es nicht die ganze Zeit in der Tasche, sondern eher feststehend zu Hause, kannte dafür aber seine ICQ-Nummer auswendig. Auch in der neusten Shell-Studie von 2019 ist erkennbar, dass die Jugendlichen sich mehr für Politik interessieren als zum Beispiel 2002, besonders bei geringer Gebildeten gibt es aber eine gewisse Politikverdrossenheit.
Gruppen statt Parteien
Außerdem ist wichtig, dass die Jugendlichen sich nicht von den Parteien angezogen fühlen, wie ebenfalls Klaus Hurrelmann diesmal im „Cicero“ erklärt. Ganz kurz gesagt sind die Parteien den jungen Menschen zu alt, sie sehen nicht, was die Parteien für die Gesellschaft geleistet haben. Wie schon erwähnt, erkenne ich hier schon Parallelen zu meiner Schulzeit: Kaum einer war politisch aktiv. Interessant ist dabei auch das Interview, das der Berliner Forscher Marcus Splitter dem ZDF kurz vor den Europawahlen gegeben hat. Er ist nämlich der Ansicht, dass Europas Jugendliche nicht stärker politisiert sind als früher, weil die Proteste bezüglich des Umweltschutzes dazu zu punktuell seien. Er meint, dass die Jugendlichen eher eine Position bekleiden. In den vergangenen zwölf Monaten hat jeder fünfte junge Europäer an einer Demo teilgenommen. Die betreffenden Personen gehen nicht mehr zu Parteien, sagt der Forscher, engagieren sich aber zu einzelnen Themen in Gruppen. Splitter betont in dem Interview ebenfalls, dass die Jugendlichen sich einfach von der Politik nicht mehr repräsentiert fühlen würden. 77 Prozent der jungen Menschen sind aber mit der Demokratie in Deutschland zufrieden, wie die neueste Shell-Studie zeigt.
Letztendlich kann ich nicht sagen, warum es so etwas wie Fridays for future nicht schon zu meiner Jugendzeit gegeben hat. Vielleicht liegt es an den Menschen selbst, die sich für andere Dinge interessiert haben. Vielleicht sind die Menschen aber auch durch andere äußere Umstände beeinflusst. Mehr politisches Engagement scheint mir im Rückblick schon wichtig, wobei es meiner Meinung nach ausschlaggebend bleibt. ob die Menschen hinter ihren Idealen stehen und sich nicht nur auf die Straße stellen, weil es gerade „in“ ist.
Text und Teaserbild: Marlene Volkamm
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