Christoph, Stefan, gab es bei euch ein Schlüsselerlebnis, das zur Gründung von Bildblog geführt hat?
Stefan: Nein. Es gab nicht die eine Geschichte, bei der wir gedacht haben: "Jetzt reicht es!" Es war eher eine wachsende Unzufriedenheit damit, wie oft in der Bild-Zeitung Sachen stehen, die in irgendeiner Weise falsch sind. Und ein stetiges Verzweifeln, wie wenig sich das, was in der Bild-Zeitung passiert, in anderen Medien wiederfindet. Als Medienjournalist kann man das nicht alles in einer Zeitung aufschreiben, weil ja nicht nur Chefredakteure und Verleger, sondern auch die Leser nicht ständig nur Dinge über die Bild-Zeitung lesen wollen.
Wenn man sich die aktuellen Nutzerzahlen von circa 40.000 Visits am Tag anschaut, scheint es ja einen Bedarf zu geben. Wieso wart ihr die Ersten? Hatten andere Journalisten vielleicht Angst vor dem Springer-Verlag?
Stefan: Ich glaube es half, dass wir Medienjournalisten sind. Das ist kein Zufall. Es gab wohl auch vorher viele Leute, die sich im Internet mit der Bild-Zeitung auseinandergesetzt haben, aber mehr reflexartig, nach dem Motto: "Iiih, die Bild, jetzt kotze ich mal jeden Tag ins Internet, was mich daran aufregt." Wir sind mit einem journalistischen Ansatz herangegangen, indem wir zwar gesagt haben, dass wir Bild schlimm finden. Wir haben aber eben auch erklärt und aufgeschrieben, was genau wir schlimm finden.
Ist Bildblog für euch heute ein Fulltimejob?
Stefan: Für mich zur Hälfte und für Christoph ganz.
Das heißt, ihr kommt morgens um acht mit der Zeitung unterm Arm ins Büro ...
Stefan: Christoph kommt eher so gegen halb neun.
Christoph: Ein Großteil der Arbeit besteht natürlich darin, morgens die Bild-Zeitung durchzulesen und auf bestimmte Schlüsselwörter oder Schlüsselbegriffe zu achten, bei denen es sich lohnt, noch mal genauer hinzuschauen.
Könnt ihr ein paar nennen?
Stefan: Alles, was mit Wissenschaft, Geschichte...
Christoph: ...Renten oder Politikerpensionen zu tun hat...
Stefan: ...ist nicht immer falsch, aber lohnt in ganz vielen Fällen die Recherche.
Christoph: Auch bei Begriffen, wie "Bild exklusiv" oder "Bild enttarnt", ist die Trefferquote relativ hoch.
Ihr werdet ja auch per E-Mail von Bildblog-Lesern auf bestimmte Dinge aufmerksam gemacht, die sogenannten "sachdienlichen Hinweise".
Christoph: Ja, deren Bearbeitung macht auch einen großen Teil unserer Arbeit aus. Da geht die Bandbreite von "Schaut euch das mal an, das kommt mir komisch vor", bis hin zu langen, zum Teil vorrecherchierten Hinweisen, die wir aber natürlich nochmal prüfen. Inzwischen werden wir auch von Betroffenen aufmerksam gemacht, allerdings nur selten. Gerade im Politikbetrieb gibt es den einen oder anderen, der uns informiert.
Stefan: Aber das sind wirklich sehr wenige Hinweise, dafür dass zum Beispiel in den Ministerien, wenn wir dort anrufen, oft eine große Offenheit und ein Interesse an unserer Arbeit zu finden ist.
Inwiefern macht euch die Arbeit an Bildblog denn noch Spaß, inwiefern ist es Routine geworden?
Stefan: Natürlich gibt es Phasen, wo wir das Gefühl haben: "Ich mag s nicht mehr, ich kann das nicht mehr sehen." Es ist aber erstaunlich, wie selten das vorkommt. Im Gegenteil: Die Empörung ist immer noch so häufig da, wie am ersten Tag und wir denken: "Das können die doch nicht machen."
Christoph: Inzwischen ist es bei uns ein Running-Gag geworden, dass, wenn sich einer wieder empört, der andere sagt: "Was echt? In der Bild-Zeitung? Hör auf!" Der Enthusiasmus bleibt bestehen. Routine und Bildblog könnte gar nicht funktionieren.
Krisen gab es nie?
Christoph: Man kann ruhig sagen, dass es Ende 2006 schon so eine kleine Bildblog-Krise gab, als wir überlegt haben, ob es sich noch lohnt weiterzumachen, auch finanziell. Was am Ende dazu geführt hat, dass wir für uns selber eine Art Motivationsoffensive gestartet haben. Wir haben nebenbei auf Bildblog einen Adventskalender gemacht, sind also sehr viel spielerischer mit Bild umgegangen. Das hat uns in jeder Hinsicht aus der Krise befördert. Die Leserzahlen haben zugenommen, die Aufmerksamkeit ist stärker geworden.
Aber die Frage nach der Zukunftsperspektive stellt ihr euch schon, oder?
Christoph: Selten.
Und für die nächsten zehn Jahre, auch wenn sich an der Bild-Zeitung nichts ändert?
Stefan: Mir hilft es persönlich, dass ich zur Zeit an einem Buch über Bild arbeite. Ich kann auf diese ganze Recherche von Bildblog zurückgreifen und versuche einen anderen Blick auf das Thema zu bekommen. Ein bisschen analytischer, etwas mehr weg vom Einzelfall. Aber so wenig, wie wir am Anfang einen Plan hatten, so wenig wissen wir, was in einem Jahr sein wird.
Christoph: Es macht ja auch keinen Sinn, zu sagen: "Jetzt hören wir auf." Die Idee ist ja, das was Bild macht, so tagesaktuell wie möglich zu begleiten. Die Bild-Zeitung wird auch in fünf Jahren noch Fehler machen. Wahrscheinlich. Leider. Und genauso arbeiten wie heute oder schlimmer.
Wie wirksam ist dann eure Arbeit überhaupt?
Stefan: Wirksamer, als wir uns je erträumt haben, weil wir nicht gedacht haben, dass sie überhaupt eine Wirkung hätte. Ich weiß noch, wie wir aus dem Häuschen waren, als wir 450 Leser hatten. Dass es jetzt 40.000 am Tag sind, ist immer noch eine unfassbare Zahl.
Das sagt aber noch wenig über die Wirkung aus.
Stefan: Wir haben nie gedacht und glauben auch jetzt nicht, dass wir die Bild-Zeitung verändern können. Die ist ja nicht versehentlich so wie sie ist. Die ist so, weil sie genau so sein soll. Was wir verändern wollen, ist die Wahrnehmung von Bild. Wie die Leute Bild sehen. Das Bewusstsein schärfen, mit welchen Methoden Bild arbeitet. Wie unfassbar viele Fehler Bild macht. Wir haben schon das Gefühl, dass Bild heute, auch in anderen Medien, kritischer betrachtet wird, als vor ein paar Jahren. Das hängt bestimmt mit vielen Faktoren zusammen, aber einer davon sind wir. Eben weil wir jeden Tag den Finger in die Wunde legen. Wir haben gehört, dass der Bild-Geschäftsführer Christian Nienhaus auf einer Podiumsdiskussion gefragt wurde, wie wichtig Bildblog bei der Arbeit ist. Er soll so in etwa gesagt haben: "Gar nicht wichtig. Ungefähr einmal am Tag bringt jemand einen Ausdruck mit in die Redaktionskonferenz, aber ansonsten beachten wir das kaum."
Christoph: Inwieweit aber die Tatsache, dass wir in der Bild-Redaktion kontinuierlich wahrgenommen werden direkten Einfluss auf die Arbeit bei Bild hat, können wir nicht nachvollziehen. Wenn man sieht, dass sie immer noch so weitermachen, hat es das offenbar nicht. Und doch muss jeder, der bei Bild arbeitet und wissentlich irgendwelchen Schwachsinn schreibt, damit rechnen, dass es am nächsten Tag öffentlich ist, wenn wir ihm auf die Schliche gekommen sind.
Stefan: Wir haben mal bei einer Sportreporterin von Bild aufgeschrieben, dass ihr "Exklusiv"-Interview mit einem Fußballer erstaunlicherweise identisch war, mit einem Interview, das einen Tag vorher über die Agenturen ging. Wir konnten nicht nachweisen, dass sie das Interview abgeschrieben hat. Also haben wir nur aufgeschrieben, dass sie das Interview entweder nicht geführt oder der Fußballer exakt dasselbe gesagt hat, wie am Tag zuvor.Daraufhin bekamen wir eine Mail von einem leitenden Bild-Mitarbeiter, in der stand, es sei ein Unding, die Kollegin namentlich zu nennen. Sie würde jetzt Ärger mit ihren Freunden und Bekannten bekommen, weil die das Gefühl hätten, sie erfindet Geschichten. Insofern kann ich mir vorstellen, dass ein Bild-Reporter durch uns auch mal in blöde Situationen kommt und sich plötzlich rechtfertigen muss. Das ist eigentlich ein ganz schöner Nebeneffekt.
Aber bei der Frage nach der Wirkung geht es ja auch darum: Inwiefern könnt ihr überhaupt Bild-Leser erreichen?
Christoph: Wenn ein Bild-Leser bestimmte Begriffe aus der Zeitung googelt, findet er sehr schnell uns, weil wir die gleichen Themen haben. Bild-Themen sind unsere Themen.
Stefan: Und es gibt die tollsten Sachen, die ich mir anfangs nicht erträumt habe. Ein Leser hat uns erzählt, dass er regelmäßig unsere Einträge ausdruckt und in München in die Zeitungskästen steckt. Ein anderer legt auf der Arbeit für seine Bild-lesenden Kollegen immer wieder Ausdrucke von uns in den Pausenraum. Jemand hat uns auch geschrieben: "Endlich kann ich meinem Vater mal Argumente bringen, warum er die Bild nicht lesen soll." Ich habe natürlich nicht die Hoffnung, dass ich die elf Millionen Bild-Leser erreichen kann. Aber wie selten hat man als Journalist das Gefühl, man bewegt irgendwas? Bei mir war das selten der Fall. Dass alle Bild-Leser irgendwann denken, Bild sei ein Schweineblatt, ist natürlich kein realistisches Ziel.
Interview: Jakob Buhre, Martin Höche / Fotos: Martin Höche
Weiterlesen? das gesamte Interview findet ihr auf www.planet-interview.de.
Vorbeischauen: www.bildblog.de