Die Anführer des DDR-Aufstands – Helden ohne Ruhm?
„Ein Lehrer verlässt seine Schulklasse und schließt sich dem Streik der Arbeiter an. Fiebelkorn hat nicht lange Zeit gehabt, um sich zu entscheiden. Am Morgen haben sich die Arbeiter der Bitterfelder Großbetriebe zum Streik entschlossen und sind nun an der Eisenbahnbrücke angekommen. Vom Fenster der Comeniusschule aus sieht er sie kommen, wie er später in seinen „Erinnerungen an den 17. Juni 1953“ berichten wird. Mit den Worten: „Ich bin einer von euch“ reiht sich der 36-jährige Gymnasiallehrer kurzerhand an der Spitze des Zuges ein und übernimmt nach und nach eine führende Rolle.
Alle Beiträge, Umfragen, Interviews mit Zeitzeugen und Historikern sowie Bildergalerien findet ihr auf der Projektwebseite 17juni.SPIESSER.de.
„Ich war wie in einem Rausch“, wird Fiebelkorn in seinen Memoiren erzählen. Bereits am Vortag hat er wie viele andere über den Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) vom Streik der Berliner Arbeiter gehört. Als er nun die Reaktion der Chemiefabrikarbeiter sieht, zögert der Lehrer nicht mehr lange und marschiert mit ihnen. Die Aufständischen werden bejubelt, es regnet sogar Blumensträuße. Einige Arbeiter streiken tatsächlich nur gegen die Normerhöhugnen. Fiebelkorn bringt, beschwingt von der Stimmung der Arbeiter, immer neue Forderungen in die Sprechchöre mit ein. Er schreit seine angestaute Wut auf das korrupte System heraus.
Zentrale Forderungen der Arbeiter
Schließlich erreichen die Streikenden das Rathaus. Dort erzwingt ein Teil von ihnen die Herausgabe des Stadtfunksprechers. Fiebelkorn steigt auf einen Traktor und trägt seine Forderungen vor: Er will den Rücktritt der Regierung, ein demokratisches, geeinigtes Deutschland und freie Wahlen. Seine ergreifende Rede stößt auf große Zustimmung. Der Kulturdirektor der Stadt will auch eine Rede halten und das Mikrofon übernehmen. Doch Fiebelkorn lehnt ab und bezichtigt ihn öffentlich der Wahlfälschung. [...]
Ein Mann droht mit der Faust in die Richtung
eines sowjetischen Panzers (mit zwei
Soldaten in offener Luke)
Fiebelkorns Wut scheint verständlich: als ehemaliger Wahlhelfer weiß er, was viele nur ahnen. Die Menge will jedoch gleich kurzen Prozess mit dem mutmaßlichen Betrüger machen. Der Lehrer appelliert an das Rechtsgefühl der Arbeiter: „Acht Jahre lang haben wir auf die Demokratie gewartet.“ Die Errichtung eines demokratischen Staates solle nicht mit einem Blutbad beginnen. Damit die Euphorie der Menge nicht in blinde Wut umschlägt, muss Fiebelkorn die Streikenden organisieren. Er gründet ein achtzehnköpfiges Streikkommitee.
Sturm auf das Gefängnis
Nun taucht die Volkspolizei als weitere Bedrohung auf. Einzelne Arbeiter sind bereits verhaftet worden. Fiebelkorn ruft dazu auf, die Gefangenen zu befreien. Nicht nur die Streikteilnehmer sollen befreit werden, sondern auch alle anderen zu Unrecht eingesperrten. Die Menge teilt sich auf: Eine Gruppe zieht zum Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit, eine andere zum Kreispolizeiamt. Der Lehrer Fiebelkorn stürmt mit einer weiteren das Gefängnis. Sie überwältigen die Wachen und gelangen ins Innere des Gefängnisses.
In seinen Memoiren beschreibt Fiebelkorn, dass die Streikenden bereits Stricke für die Wärter geknüpft haben, als er ankommt. Nur knapp kann der Lehrer einen Mord verhindern. Die streikenden Arbeiter erzwingen die Herausgabe der Gefängnisakten. Nur sechs von 86 der Inhaftierten sitzen wegen krimineller Delikte ein. Inhaftierte Streikende befinden sich nicht darunter. Die Waffen im Gefängnis werden beschlagnahmt und laut Fiebelkorn wurde den Gefängniswärtern „kein Haar gekrümmt.“ Die Freude unter den Befreiten ist groß, aber ihre Zukunft ungewiss. Fiebelkorn weiß das, er rät: „Fahrt nach West-Berlin und wartet ab.“ [...]
Ihr wollt wissen wie der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 für den Lehrer Wilhelm Fiebelkorn endete? Lest den vollständigen Artikel „Einer wie Fiebelkorn" von Teresa Kümmerle auf der Projektwebseite der SPIESSER-Schreibwerkstatt.
Eine Veranstaltung vom Medienkulturhaus e.V. in Kooperation mit:
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Text: Teresa Kümmerle
Foto: BPA, Perlia-Archiv; Quelle: Bundesregierung