Aktuelle Studien zeigen, dass etwa zwei Drittel der Erwachsenen in Deutschland mit Homosexualität lieber nichts zu tun haben wollen und dass fast die Hälfte der Deutschen laut Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung sogar homophob eingestellt ist. Diese Vorstellungen und Abwehrhaltungen gegenüber Homosexuellen werden von den Erwachsenen natürlich auf die Jüngeren übertragen. Und da die Kinder und Jugendlichen heutzutage sowieso schon einen sehr rauen Umgangston untereinander und gegenüber älteren haben, liegt es auf der Hand, dass ihnen auch Ausdrücke wie „schwul“ oder „Schwuchtel“ leicht über die Lippen kommen. Oftmals wissen sie gar nicht, was sie da gerade sagen. Denn nicht selten hören Heranwachsende zunächst passiv Begriffe in ihrer Umgebung, nehmen diese auf, fangen dann plötzlich damit an, sie auch aktiv zu verwenden und denken schließlich nicht einmal an eine „Schwuchtel“ oder einen „Schwulen“, wenn sie diese Wörter als Beschimpfung oder Beleidigung benutzen. Genau hier liegt auch das Problem, denn durch diese negative Begriffsexpansion entsteht in einer Gemeinschaft oftmals ganz unbewusst die Diskriminierung eines Teils ihrer Menschen. An dieser Stelle ist es notwendig, die durch homosexuelle Inhalte geäußerten Diskriminierungen in zwei verschiedene Arten zu unterteilen: Zum einen gibt es die unbewusste Diskriminierung. Bei dieser bezieht sich der Sprecher auf eine Person, deren sexuelle Orientierung ihm unbekannt ist, und bezeichnet diese mit für Homosexuelle typischer Lexik. Hierzu gehört auch der Bezug auf Objekte, die mit homosexuellen Begriffen beschrieben werden können. Zum anderen gibt es die bewusste Diskriminierung, bei der dem Sprecher die homosexuelle Orientierung der angesprochenen Person bekannt ist. Ob und, wenn ja, welche der beiden Diskriminierungsarten schwerwiegender ist, lässt sich schwer sagen, da sich zumindest Homosexuelle in jedem Fall angegriffen fühlen, sei die Beleidigung direkt gegen sie gerichtet oder auch gegen eine andere Person oder einen Gegenstand.
Der bayerische Hochschullehrer Reinhold Aman definiert Schimpfwort als ein „Wort, das aggressiv verwendet wird“. Diese Interpretation kann sehr subjektiv sein, gerade bei Wörtern wie „schwul“, die neben der negativen Konnotation auch eine neutrale besitzen können. In diesem Fall spielt auch der Unterton eine entscheidende Rolle und gibt einer lexikalischen Einheit eigentlich immer erst seine situationsgebundene Bedeutung. Aber warum werden gerade Ausdrücke, die sich gegen Homosexuelle richten, zu solchen beliebten Schimpfwörtern? Diese Frage stellten sich auch schon Nutzer dieser Internetplattform. Sie sind sich zum einen alle einig, dass sie den negativen Gebrauch von „Schwuchtel“ und ähnlichen Ausdrücken unfair und diskriminierend finden. Zum anderen geben viele von ihnen aber auch zu, diesen Trend ganz unbewusst ebenso auszuleben. Einer der Nutzer, scheinbar männlich, macht die Anmerkung, dass er und seine Freunde auch schon über die homophobe Ausdrucksweiße nachgedacht haben und als Folge nun anstatt „schwul“ einfach „hetero“ sagen, wenn sie jemanden oder etwas beschimpfen wollen. Diese Bestrebung, etwas an der Benachteiligung Homosexueller zu ändern, ist sehr ehrenwert und spricht für die Weltoffenheit vieler Jugendlicher, doch diese Bemühungen werden oft durch Erwachsene und konservatives Denken zunichte gemacht. Denn nach wie vor ist es so, dass Sexualität, ganz besonderes jene zwischen Gleichgeschlechtigen, in der Gesellschaft noch immer ein Tabu-Thema ist, was man nicht gerne und erst Recht nicht mit fremden Menschen bespricht. Somit bleibt die Thematik der gleichgeschlechtlichen Liebe auch in der schulischen Bildung und Erziehung unbehandelt oder wird nur tangierend angesprochen.
Man könnte sich nun fragen, ob es tatsächlich notwendig und sinnvoll wäre, Homosexualität im Schulunterricht detaillierter zu thematisieren. Denn auf der einen Seite betrifft sie schon die Gesellschaft im Gesamten, und damit auch ihre einzelnen Mitglieder. Auf der anderen Seite besteht aber auch die Gefahr, dass einzelne Homosexuelle im Klassenverband sich durch diese besondere Thematisierung angegriffen oder erst Recht als „anders als die Anderen“ sehen. Wieso etwas explizit im Unterricht besprechen, wenn es doch so alltäglich und normal sein soll? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage des Lehrplaninhaltes scheint es nicht zu geben. Notwendig ist aber in jedem Fall, dass die Lehrer ihre Aufmerksamkeit auf die Diskriminierung von Homosexuellen lenken, sei es auf eine Schülerin oder einen Schüler, die oder der tatsächlich homosexuell ist, oder sei es das bloße Verwenden homophober Begriffe als Schimpfwörter. Wichtig ist hierbei, dass die Lehrer nicht nur indirekt mit einem strengen Blick oder einer kurzen Ermahnung reagieren, sondern dass sie direkt auf den Vorfall eingehen und besprechen oder bei mehrfachem Vorkommen sogar bestrafen. Sollte die Reaktion des Lehrers aber doch nur kurz und oberflächlich sein oder vollkommen fehlen, so entsteht bei den Beschimpfenden eine Toleranz für die Diskriminierung. Diese wird dann zur Normalität, da durch die Autoritätsperson keinerlei Grenzen aufgezeigt werden, erklärt Almut Dietrich, Beraterin für Lesben und Schwule im Kölner Beratungszentrum RUBICON. Als Folge wird von den Kindern und Jugendlichen dann immer mehr ausprobiert, und die sowieso schon negativ konnotierte „Sau“ wird nun zur „schwulen Sau“. Dabei sind laut der Lehrergewerkschaft GEW „schwul“ und „Schwuchtel“ bereits seit Jahren die am häufigsten verwendeten Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen. Immer beliebter werden aber auch andere Begriffe, die größtenteils sogar nur Klischees darstellen. Dazu gehören unter anderem „Tunte“, „Tucke“, „Homofürst“, „warmer Bruder“, „Arschficker“, „Schwanzlutscher“, „Homo“, „Schwuler“, „Schwuli“ und „gay“. Auffällig dabei ist, dass die meisten der Begriffe als Nomen personenbezeichnend sind und damit zur Beschreibung bzw. Beleidigung von Mitmenschen dienen. „Gay“ und „schwul“ (oder deren Steigerungen, z.B. „stockschwul“) als Adjektive können zwar ebenso Personen beschreiben, sie werden aber auch immer häufiger für jegliche andere Objekte und Gegenstände verwendet. Heutzutage kann alles „schwul“ sein, es muss nicht einmal männlich sein oder überhaupt irgendein Geschlecht haben. Oftmals wird „schwul“ sogar synonymisch für „blöd“, „langweilig“ und „uncool“ verwendet, wie der Eintrag auf Wiktionary zeigt. Umgedreht heißt das, dass Homosexualität mit den Eigenschaften „blöd, langweilig und uncool zu sein“ gleichgesetzt wird, also mit einer Reihe negativen Ausdrücke.
Umso weniger überraschend ist das Ergebnis eines Versuchs auf dem Pausenhof einer Schule in Nordrheinwestfalen, wo sich zwei männliche Jugendliche offen vor ihren Mitschülern küssen. Deren Reaktionen sollen mit dieser ungewöhnlichen Situation getestet werden und bestätigen schließlich auch alle Erwartungen. Von typischen Ausdrücken wie „Schwule Schwuchtel!“ bis hin zu völlig abwertenden Haltungen wie „Schande ist das!“ und „Ich kotze gleich!“ ist jede Art der Reaktion dabei – außer positive. Besonders auffällig ist hier, dass viele dieser Beleidigungen und Schimpfwörter von ausländischen Mitschülern stammen, die selbst auch eine Minderheit darstellen, genau wie die Homosexuellen. Obwohl diese Abwehrhaltung von Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe sehr stark und typisch ist, wird körperliche Gewalt in den seltensten Fällen auch durch diese praktiziert. Die häufigsten Gewalttäter gegenüber Homosexuellen in Deutschland sind die Deutschen selbst, allen voran Neonazis. Der Grund für diese Distanzierung von gleichgeschlechtlicher Liebe, vor allem bei Männern, scheint sehr simpel und vor allem bei Migranten nachvollziehbar zu sein. Denn das traditionelle Bild des Mannes ist meistens vor allem in deren Herkunftsländern nach wie vor präsent. Der Mann muss hart sein, viel Kraft haben, darf nicht weinen, muss aber dominant sein. Je weniger dieser „manntypischen“ Eigenschaften zutreffen, desto „unmännlicher“ ist ein Mann und wird im Zusammenhang damit entweder schneller oder langsamer zu einer „Schwuchtel“. Dass wenige dieser für einen Mann typischen Eigenschaften tatsächlich Homosexualität implizieren, wurde bisher nicht bestätigt. Dieser traditionellen Wertvorstellungen des Mannes führen allerdings zu zusätzlichen Schwierigkeiten, die unter anderem bei Profifußballern zum Tragen kommen. Dies führt soweit, dass beispielsweise der Sportsoziologen Gunter A. Pilz betroffenen Sportlern rät, ihre Sexualität zum Wohle der beruflichen Karriere geheim zu halten. Spätestens an diesem Punkt wird eindeutig klar, dass Homosexualität in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts alles andere als toleriert oder gar akzeptiert wird. Homosexualität bedeutet nach wie vor Angst haben und sich verstecken.
Bereits der Weg zum Outing ist ein qualvoller Pfad, besonders wenn sich Geschwister oder Eltern von vornherein negativ gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe äußern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte von Hannes (Name wurde geändert), heute 20 Jahre alt und Mathematik-Student. Als er 14 Jahre alt war, erzählt Hannes, schaute er gemeinsam mit seiner Mutter eine Gerichtssendung im Fernsehen, in der es um Homosexuelle ging. Er fragte sie danach, ob sie etwas gegen Schwule hätte, was sie sofort verneinte. Hannes wollte sich in diese Moment ganz spontan outen, doch dann fiel seine Mutter ihm gleich ins Wort und ergänzte: „Aber in meiner Familie dürfte keiner sein!“ Und so verschob sich sein Coming-out um mehrere Jahre. Aber es muss nicht unbedingt die eigene Familie sein, die sich unbewusst negativ gegenüber Homosexualität äußert. Ganz besonders einflussreich sind auch die Kommentare und Meinungen von Freunden aus sogenannten Peergroups. Wenn diese sich negativ gegenüber Homosexuellen äußern, sei es auch nur durch den fast schon normal gewordenen Gebrauch des Adjektivs „schwul“ für eine unangenehme Sache, kann dies sogar schlimmer sein als die Abwehrhaltung der eigenen Familie. Denn die homophoben Beschimpfungen treffen vor allem diejenigen, die unsicher sind und sich verstecken. Mit der Ablehnung von gleichgeschlechtlicher Liebe werden auch ihre Art zu sein und ihre Identität abgelehnt. Sie sind als Menschen so nicht gewollt, sondern ihre Persönlichkeiten werden negativ angesehen. Und je schlimmer diese unbewussten Äußerungen oder Beschimpfungen von Freunden und Familie gegen sie sind, desto härter werden auch die Empfindungen und umso größer die Vermutung, dass diese Ablehnung durch ein Outing bestätigt wird. Als Folge davon neigen viele Homosexuelle dazu, geoutet oder auch nicht, selbst homophobe Begriffe zu verwenden, um so ihre eigene Unsicherheit zu verstecken. Dies ist meistens auch bei bisexuellen Männern und Frauen der Fall.
Durch die eben genannten Beispiele ist sehr deutlich geworden, dass Worte oftmals viel mehr bedeuten, als sie zunächst scheinen. Und vor allem, dass sie mehr Gefühle und Gedanken in Bewegung setzen und Dinge bewirken, über die man beim Sprechen vielleicht gar nicht so genau nachdenkt. Homosexuelle sind auf eine gewisse Art und Weise natürlich anders. Aber so, wie alle Menschen auf der Erde vor Gott gleich sind, genau so unterschiedlich und individuell sind sie alle. Und oftmals sind die scheinbar tolerantesten Menschen auch diejenigen, die am engstirnigsten sind, denn sonst würden sie wissen, dass „homosexuell“ für Homosexuelle selbst abwertender klingt als „schwul“, auch wenn der erstgenannte Begriff ethisch korrekt ist. Aber was bringt schon ethische Korrektheit, wenn sonst trotzdem jeder Homosexuelle beleidigen und beschimpfen darf, ohne dass dies Folgen hat?