Wie ich lebe
Ich bin vor kurzem mit der Uni fertig geworden. Wäre dem nicht so, würde ich nach dem Frühstück zur Uni oder in die Bibliothek fahren. Ich habe in Berlin Kulturjournalismus studiert und über die Zukunft der Zeitung meine Masterarbeit geschrieben. Momentan schreibe ich aber fleißig Bewerbungen. Da ich noch im Studentenwohnheim wohne, plane ich derzeit, mit meinem Freund zusammenzuziehen. Der Wohnungsmarkt in Berlin ist hart, man muss nehmen, was man kriegen kann. Deshalb schauen wir einfach, dass wir uns in der Wohnung wohlfühlen und die nächste U-Bahnstation nicht allzu weit weg ist. Abends und am Wochenende treffe ich mich gern mit meiner Familie oder Freunden, gehe shoppen oder ins Kino. Ganz besonders gern gehe ich zu Poetry-Slams. Das ist eine Art Tradition von mir und meinen Freunden, dass wir uns einmal im Monat treffen und zu so einer Veranstaltung gehen.
Warum ich glücklich bin
Von den Menschen umgeben zu sein, die ich liebe und die mir am Herzen liegen – das bedeutet für mich Glück. Also beispielsweise, wenn ich Zeit mit meiner Familie verbringen kann, denn ich bin ein echter Familienmensch. Ansonsten bereiten mir ganz alltägliche Dinge Freude: Musik zu hören oder mit Freunden oder Familie bei einem Kaffee zusammenzusitzen und über den Tag zu reden. Glücklich zu sein, bedeutet für mich auch jeden Tag etwas anderes. Aber im Kern kommt es dabei auf die Grundhaltung an, also darauf, ob man grundlegend zufrieden mit seinem Leben ist – und das bin ich vollkommen! Mir ist auch wichtig, dass ich jeden Tag das geschafft habe, was ich mir vorgenommen habe. Ich denke, man kann nur dann glücklich werden, wenn man selber etwas macht und erreicht. Deshalb schaue ich auch nicht darauf, was andere machen, sondern ziehe mein eigenes Ding durch. Und ich freue mich, wenn ich damit Erfolg habe, egal in welcher Hinsicht.
Warum andere denken, ich könnte unglücklich sein
Seit meiner Geburt bin ich von den Knien abwärts gelähmt. Ich sitze größtenteils im Rollstuhl, kann aber auch mit Krücken laufen. Da ich nicht weiß, wie es sich anfühlt, richtig laufen zu können, hatte ich auch nie diesen „ich bin anders“-Gedanken. Meine Eltern haben mir früh beigebracht, nicht darauf zu schauen, was die anderen machen können. Ich bin einfach so wie ich bin und verschwende auch keinen Gedanken daran, zu überlegen, was wäre wenn. Es bringt und ändert ja nichts an meiner Situation. Ich war deshalb auch noch nie traurig oder niedergeschlagen. Ich gehe damit beispielsweise im Internet ganz offen um: Wenn man mich googelt, findet man Bilder von mir im Rollstuhl. Ob ich deshalb bei einer Bewerbung abgelehnt werde, weiß ich nicht. Wenn ich draußen unterwegs bin, sehe ich die Blicke der Menschen gar nicht mehr. Vielleicht sind sie auch weniger geworden, weil Rollstühle mittlerweile „normal“ sind. Ich bin in meinem Alltag nicht eingeschränkt und auch nicht immer auf fremde Hilfe angewiesen. Außer wenn beispielsweise der Aufzug kaputt ist, dann bitte ich jemanden, ob er meinen Rollstuhl trägt und ich gehe die Stufen dann eben mit Krücken.
Text: Victoria Gütter
Fotos: Tony Haupt