Mach dein Ding!

Leben am Limit

Alle Studenten haben wohl diesen einen Traum: Nach der Uni direkt mit einem fetten Gehalt ins Arbeitsleben einsteigen. Öl- und Gasfirmen lassen diesen Traum für junge Ingenieure lebendig werden. SPIESSER-Autorin Merle sprach mit John Scandrett, der mit 23 trotz Selbstmordbombern und Rebellionen wegen eines Jobs nach Nigeria ging. Über Ebola, Korruption und wie viel ein Leben wert ist.

17. August 2014 - 14:19
SPIESSER-Autorin silberzunge.
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silberzunge Offline
Beigetreten: 06.06.2014

John Scandrett wurde 1989 in England geboren. Sein Lebenslauf ist alles andere als gewöhnlich – Jobs in Ägypten, Guinea und Nigeria – eigentlich hatte er alles erreicht: Einen Top-Job mit Managergehalt direkt nach der Uni. Trotzdem hat er jetzt all das hingeschmissen.

Es ist sechs Uhr morgens und bereits mörderisch schwül. 25 Grad. Bis zum Mittag wird das Thermometer auf 40 Grad klettern. Zikaden zirpen schon während John Scandrett in einem feuerfesten Anzug auf seinem Weg ins Basiskamp ist. In der Nacht gab es Granatenexplosionen in der Nähe und eine Schießerei vor dem Haupttor. Schlecht geschlafen hat John deswegen aber nicht. „Das ist normal in Nigeria – man gewöhnt sich an alles“, sagt er und lächelt schief.

Früher lief Johns Leben anders: Mit dem Bus zur Uni, Joggen im Park und Abends ausgehen. Aber nach dem Studium wollte er direkt groß einsteigen. Er bewarb sich bei einer großen Öl-Firma als Ingenieur. Er wurde angenommen, mit 120.000 Dollar Jahresgehalt und einem unbefristeten Vertrag. Die Firma stellte den 25-Jährigen vor die Wahl: Afghanistan oder Nigeria. John entschied sich für Nigeria. Damals erschien ihm das sicherer.

Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Nach einer Militärdiktatur ist das Land in einem katastrophalen Zustand: Rebellionen, bewaffnete Konflikte und eine hohe Kriminalität lassen Nigeria trotz der immensen Ölvorkommen nicht zur Ruhe kommen. 2013 lag Nigeria auf einem der letzten Plätze der Korruptionstabelle (CPI). „Immer noch besser als Afghanistan“, dachte John. Die Unterschrift unter dem Vertrag, ändert sein Leben: In Nigeria lebt er in einem gesicherten Basislager, das er ohne Schutz nicht verlassen darf – zu gefährlich.


Kein gewöhnlicher Job für John.

Schwerbewaffnete Militäreskorten bringen die Mitarbeiter von Flughäfen in ihre durch Stacheldraht, hohe Mauern und Soldaten geschützten Wohnanlagen. Joggen kann John jetzt nur noch auf dem Innenhof seiner Wohnanlage. Immer im Kreis. Oder er schwimmt im firmeneigenen Pool. Richtig Spaß macht das nicht. „Ich fühlte mich wie ein Gefangener. Man durfte nicht raus - niemand kam rein. Das ging allen so. Jeder kreuzte die Tage ab, bis er wieder nach Hause kam.“ Alle paar Wochen darf John einen Heimaturlaub antreten. Diese Flüge nach Hause machen die Hitze, das gefühlte Eingesperrt-Sein, die Selbstmordbomber und die nächtlichen Schießereien erträglich.

Bis im Juli 2014 in Lagos, einer der größten Städte in Nigeria, Ebola ausbricht. Internationale Nachrichtenstationen berichten täglich von weiteren Infizierten. John beginnt sich zu fragen, ob das gute Gehalt das Risiko wert ist.  Am 8. August 2014 erklärt die WHO (World Health Organization) die Epidemie zum internationalen Gesundheitsnotfall: Ebola ist extrem ansteckend. Es wird durch Körperflüssigkeiten und Schmierinfektionen übertragen. Die Symptome sind am Anfang grippeähnlich: Fieber, Erbrechen, Gliederschmerzen. Danach kommt es zu inneren Blutungen. Wirksame Medikamente gibt es nicht. Die Sterblichkeitsrate liegt  bei bis zu 90 Prozent. In Europa werden infizierte Personen in Sonderisolierstationen für hochinfektiöse Patienten behandelt. In Deutschland gibt es nur neun Krankenhäuser, die solche Spezialausrüstungen zur Verfügung haben.

Pandemie, Epidemie – wo liegt eigentlich der Unterschied? Eine Pandemie ist eine Krankheit, die Länder- und Kontinent-übergreifend ist. Beispiele: Aids und die Pest im Mittelalter. Die Epidemie hingegen ist eine zeitlich und örtlich begrenzt auftretende Krankheiten. Beispiele: Denguefieber und Cholera. Es gibt aber auch Krankheiten, wie beispielsweise die Grippe, die als Epidemien starten und dann zu Pandemien werden.

Ganz anders in Afrika: Große Teile des Kontinents sind solchen Pandemien hilflos ausgeliefert. Grenzen zu anderen Staaten werden nicht kontrolliert, infizierte Personen können unbemerkt passieren und die Krankheit  von Land zu Land weiter verbreiten. Auf den Flughäfen in Nigeria sieht es nicht besser aus. Wenn John nach Hause fliegt, sieht er jedes Mal, warum sich das Virus auch außerhalb Afrikas verbreiten kann: „Zöllner haben Angst vor der Ansteckung und winken alles ohne Kontrolle durch, um den Kontakt mit Menschen zu minimieren.“ So konnte Ebola auch nach Kanada und Amerika kommen. In Afrika verbreitet sich die Epidemie ungebremst weiter. Die Furcht vor der Krankheit wird größer. Arbeiter erscheinen nicht zur Arbeit, aus Angst vor Ansteckung oder ziehen in abgelegene Gebiete.

Ebola ist zwar noch nicht in Johns Region aufgetreten, aber ihm reichte es trotzdem – Anfang August kündigt er: „Bomben, Attentate ok. Aber eine tödliche Krankheit, für die es kein Heilmittel gibt das geht zu weit. Ich bekam zwar richtig viel Geld, aber nicht genug um in Kauf zu nehmen, dass ich sterben könnte bevor ich 30 bin.“

Text: Merle Gries
Fotos: privat

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