Während US-Präsident Obama sein Volk von einem Militärschlag in Syrien überzeugen will, ist Khalil Ayne*, 23, auf dem Weg nach Aleppo. Der gebürtige Syrer lebt seit vier Jahren in Deutschland. Mit Anna hat er vor seiner Abreise über den Konflikt in Syrien und die Not der Menschen dort gesprochen.
12. September 2013 - 14:12 SPIESSER-Autorin annoula.
Anna: In Syrien wütet zur Zeit ein Bürgerkrieg. Es gibt viele Tote und Verletzte. Wie geht die syrische Bevölkerung damit um?
Khalil: Das Leben hat sich für alle Syrer geändert, jeder ist betroffen. Viele haben Familie oder Freunde verloren, dazu kommt der Verlust der Heimat, da quasi alles zerstört ist. Mehr als zwei Millionen sind bereits aus dem Land geflüchtet. Wir Syrer, auch die, die in Deutschland leben, sind psychisch am Ende. Da gibt es auch im Kopf keinen Platz mehr für Studium, Arbeit oder private Dinge. Anfangs klammerten wir uns noch an die Hoffnung, dass sich die Situation schnell löst. Da aber kein Ende in Sicht ist und alles immer komplizierter wird, haben viele die Hoffnung verloren.
Über zwei Millionen Menschen sind bereits aus
dem Kriegsgebiet Syrien geflüchtet. Viele sind in
Zeltlagern untergekommen.
In den nächsten Tagen wirst du nach Aleppo fahren und die dort verbliebenen Menschen mit Kleidung, Medikamenten und Geldspenden unterstützen. Hast du keine Angst?
Klar habe ich Angst... In Aleppo kann ich mich kaum frei bewegen. An fast jeder Ecke lauern Scharfschützen. Ich könnte jederzeit getötet oder verhaftet werden. Deswegen bin ich auch auf Bekannte oder Freunde angewiesen, die mich verstecken und mir helfen. Aber mein Wille ist stärker als die Angst, weil ich weiß, dass es für einen guten Zweck ist. Ich mache das, damit die Leute dort überleben.
Wie lange wirst du in Syrien bleiben?
Etwa zwei Monate. Genaueres weiß ich aber noch nicht, weil ich dort meine Familie besuchen möchte. Das soll eine Überraschung werden. Wenn sie wüssten, dass ich komme, würden sie sich zu viele Sorgen machen.
In welchem Teil von Syrien leben deine Eltern und wie geht es ihnen?
Darüber kann ich leider nicht im Detail sprechen. Der syrische Geheimdienst weiß über meine Reise Bescheid und ich möchte nichts tun, um meine Familie in Gefahr zu bringen.
Alltag in Aleppo: Regierungsfeindliche Gruppen
kämpfen gegen das Militär Assads.
Bevor der Bürgerkrieg ausbrach, haben die Syrer, wie in vielen Ländern im Nahen Osten, gegen die Regierung protestiert. Worum ging es den Leuten?
Zunächst ging es um Freiheit und Demokratie. Doch inzwischen kämpfen die Syrer nur noch ums Überleben. Trotzdem bereuen wir diese Revolution nicht. Wir trauen uns zu sagen, was wir fühlen und denken. Das ist das Beste, was aus der Revolution bisher hervorgegangen ist. Wir wollen unser Land retten, obwohl wir wissen, dass das unser Tod sein kann. 2011 habe ich mit anderen Studenten die Vereinigung „Für Syrien“ in Leipzig gegründet. Unser Ziel ist es, zu helfen, Spenden zu sammeln und mit Ausstellungen auf das Leid der Syrer aufmerksam zu machen.
Hast du Kontakt zu bewaffneten Gruppen?
Nein. Ich bin dagegen, mit Waffen gegen die Regierung von Assad zu kämpfen. Man kann nie ein Land durch Waffen wieder aufbauen oder retten. Manche versuchen weiterhin friedlich das Regime zu stürzen.
Was hältst du von einem Militärschlag der Amerikaner?
Ein Militärschlag würde nicht nur Militäranlagen oder Soldaten treffen, sondern auch eine große Anzahl Zivilisten. Uns ist es aber inzwischen egal, ob wir durch Assads oder Obamas Raketen sterben. Dennoch: Die Hoffnung, dass durch den Angriff auch ein paar Militäranlagen Assads vernichtet werden, besteht.
Das klingt, als wärst du dafür...
Viele Syrer, auch ich, glauben nicht an die selbstlose und hilfsbereite Absicht der USA. Denn egal ob Chemiewaffen oder "einfache" Raketen – das Ergebnis bleibt das selbe: tote Menschen. Da scheint der Vorwand von Obama absurd. Das syrische Regime tötet sein Volk seit zwei Jahren und keiner hat eingegriffen. Jetzt, nachdem schon über 100.000 Menschen gestorben sind, soll der Einsatz von Chemiewaffen bestraft werden? Jede Kugel tötet. Ob der Tod durch Munition oder Giftgas verursacht wird, spielt doch keine Rolle.
Vielen Dank für deine Offenheit und alles Gute für die Reise!
* Name von der Redaktion geändert
Das Gespräch führte Anna Meinig. Fotos: Khalil Ayne* (Teaser); Béatrice Dillies au Kurdistan, flickr.com, CC-Lizenz (CC BY-SA 2.0) (1. Bild im Text); Freedom House, flickr.com, CC-Lizenz (CC BY 2.0) (2. Bild im Text)
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https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
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[Bild:1]
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mxk
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