Mit einem Lächeln im Gesicht ist das Leben in Nordkorea das größte Glück auf Erden – denn so will es das Regime. Die Wirtschaft ist im Aufschwung und alles soll normal wirken. Doch die Dokumentation „Im Strahl der Sonne“ offenbart eine zweite Geschichte hinter der gespielten Wirklichkeit. Ein Film zwischen Witz und Wahnsinn beurteilt Marco Weimer.
14. March 2016 - 09:57 SPIESSER-Autor Marco Weimer.
Jeder Tag im Leben der 8-Jährigen Zin-mi ist ein guter Tag, nur das Fest der Jungpioniere ist ein ganz besonderer. Denn jeder Bürger der „Demokratischen Volksrepublik Korea“ ist ein zufriedener Bürger und mit der feierlichen Aufnahme tritt Zin-mi als vollwertiges Mitglied in diese glückliche Gemeinschaft ein. „Bitte lächeln und stramm stehen!“, brüllt immer irgendwer, der etwas zu sagen hat. Mit Orden überhangene Generäle schütteln kleinen nordkoreanischen Mädchen und Jungen die Hand. Noch am Tag zuvor sah alles ganz normal aus: Zin-mi wartet mit ihren Eltern auf den Schulbus, Zin-mi sitzt im Klassenzimmer und Zin-mi isst gemeinsam mit ihren Eltern. Dass es weder eine Bus-Haltestelle, noch eine Heizung in der Schule im tiefsten Winter gibt, fällt nur am Rande auf. Das Abendessen soll auch ganz normal wirken. Damit dem auch so ist, sagen Aufpasser am Filmset der Familie jedes einzelne Wort vor und verbessern die „reale“ Familie im Befehlston. Die Kino-Dokumentation des russisch-ukrainischen Regisseurs Vitaly Mansky sollte eigentlich in Absprache mit den nordkoreanischen Behörden einen ganz normalen Alltag in Pjöngjang festhalten. Doch jeder einzelne Schritt und jeder Satz ist geplant und vom Regime akribisch vorgegeben. Dabei hat sich im Ergebnis nicht nur haufenweise Situationskomik ergeben, sondern auch ein erschütterndes Abbild eines realen Horror-Alltags in Nordkorea.
Die kleine Zin-mi ist glücklich in Nordkorea – das
sagt sie jedenfalls. Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH
Wer spielt mit?
Die Nordkoreaner höchstpersönlich, rund zwei Dutzend Diktator-Bilder sowie eine gigantische Kim Jong-il-Bronzestatue. Ob die Familie der kleinen Zin-mi echt ist oder ebenfalls nur von der Regierung gestellt wurde, lässt sich schwer einschätzen. Seine Identität voll und ganz für das Regime aufzugeben, gehört jedenfalls zum Volkssport. Der Vater von Zin-mi wird beispielsweise als Ingenieur in einer Textilfabrik vorgestellt. Nach kurzer Zeit wird jedem Zuschauer aber klar, dass der Mann einfach mal keine Ahnung von seinem Beruf hat. Aber halb so schlimm, denn alle spielen mit. Wer hier also wen spielt, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Vielleicht ist Nordkorea sogar das größte von Schauspielern bevölkerte Land der Welt. Traurig nur, dass alle zum Schauspielern und Lachen gezwungen werden. Wie lange das Volk noch mitspielen wird, ist ebenso ungewiss.
Pjöngjang, die Hauptstadt Nordkoreas, wirkt wie ein nebelverhangenes Filmset mit monumentalen Betonbauten, bevölkert von Statisten, die alle zu Fuß gehen und ihren Diktator mit Blumen ehren. Die Dokumentation entblößt eine eigenartige Ästhetik. Es gibt keine Werbeflächen oder bunte Lichtreklame – wenn überhaupt nur Führerbilder. Dadurch sieht alles sehr reduziert und reinlich aus. Die Menschen haben starre Gesichter, die vom vielen Lächeln lahm geworden scheinen. Alles ist aufgeräumt, obwohl sich hinter jeder Ecke und Szene das marode System offenbart. Ähnlich wie die berühmte Nordkorea-Dokumentation von Vice zeigt auch „Im Strahl der Sonne“ das Absurde des Regimes. Allerdings schafft es die Mansky-Doku auch die Gefühle und Gedanken der Nordkoreaner filmisch einzufangen.
Braucht man Taschentücher?
Stets bereit! – aber nicht um den Diktator mit Freudentränen zu überhäufen, sondern wegen der unfreiwilligen Komik. Alles ist gespielt und dennoch erschreckend wahr. Nachdem man sich zum wiederholten Mal über das groteske Verhalten der Nordkoreaner amüsiert hat, sorgt die Abschlussszene für erschreckende Ernüchterung, die echte Tränen herausfordert.
Am besten mit jemanden, der gerne über unsere Gesellschaft, den Kapitalismus und die Zwänge unserer Kultur schimpft. Die Dokumentation könnte Wunder wirken: Nach zwei Stunden miterlebter Gefangenschaft in Nordkorea sieht man unsere Umwelt wieder mit offenen Augen.
Was macht man danach?
Kimchi essen und sich fragen, warum so ein Staat wie Nordkorea überhaupt noch existieren kann.
In 3 Worten:
witzig, surrealistisch, erschreckend
Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?
Ein kleiner Bildschirm würde ausreichen, um die skurrile Wirklichkeit in Nordkorea miterleben zu können. Auf der Leinwand kommt allerdings die recht eindrucksvolle Stadtszenerie besser zur Geltung.
Mainstream oder Independent?
Real-Life-Independent-Kino im Großstadt-Theater wäre wohl die passendere Beschreibung. Keine Action, keine Hollywood-Klischees, lange Bildeinstellungen und viele lustige Dialoge. Filmemacher Jim Jarmusch („Only Lovers Left Alive“, 2013; „Broken Flowers“, 2005) hätte einen Norkorea-Film kaum besser in Szene setzen können.
IM STRAHL DER SONNE
Regie: Vitaly Mansky Kinostart: 10. März 2016 Länge: 90 Minuten Genre: Dokumentation FSK: ab 6 Jahren
Text: Marco Weimer Bildmaterial: Salzgeber & Co. Medien GmbH
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