Die Musik dröhnt in ihren Ohren. Ihr Blut scheint im Takt dazu zu pulsieren. Ihr gefällt der Anblick, wenn sich die Härchen an ihrem Körper aufstellen. Wenn der kalte Stahl ihre Haut berührt und sie erschaudert. Oder der Moment, wenn sich die Haut auftut. Wenn dieser wunderschöne Kontrast entsteht und die flüssigen kleinen Rubine beginnen, über ihre Alabasterhaut zu kullern. Sie glänzen leicht, wie kleine Tränen fließen und tropfen sie von ihr. Das Gefühl befreit sie. Ihr Arm wird taub, es war wohl doch etwas tiefer, als sie dachte. Aber wen wird das schon interessieren. Es wird kälter draußen, da wundert sich niemand mehr, wenn sie langärmlig in die Schule kommt. Bisher hat nie jemand auch nur irgendetwas gemerkt. All die Jahre hat es niemanden gekümmert, niemand erfahren. Ihre Freunde halten sie für ein aufgedrehtes, hibbeliges kleines Ding. Wenn sie nur wüssten. Aber sie werden es nie wissen. Ihr Freund, der weiß es. Aber er ist auch nicht besser. Und jetzt, jetzt sind sie noch schlimmer. Die Drogen schwächen das Schmerzempfinden ab. Die Wunden wurden tiefer, das Blut dunkler, die Narben breiter. Die neue Wunde begann bereits zu trocknen. Schon vorbei... Sie überlegte, ob sie nicht vielleicht nochmal ansetzen sollte. Nein, erstmal nicht. Ihr war jetzt schon schwindlig. Sanft strich sie über die älteren Narben. Manche hatte sie von ihm. Er war ganz vorsichtig gewesen, dennoch waren sie tief. Sie liebte diese noch mehr als die, die sie sich selbst zugefügt hatte. So trug sie immer etwas von ihm bei sich.
Sie spürte, dass ihr Trip endete. Gras war ihr mittlerweile schon lange zu lasch geworden, nicht mal mehr durch die Bong erzielte es noch so viel Wirkung, wie es früher der Fall war. Viel hatte sie nicht mehr... Bald musste sie wieder los gehen. Etwas verstört sah sie den Plastikbeutel auf ihrem Schreibtisch. Darin lag es, Heroin. Sie kannte die Anwendung in- und auswendig. Tausende Male hatte sie anderen dabei zugesehen, wie sie sich mit der Nadel in andere Welten katapultierten. Aber sie hatte auch schon jemanden daran sterben sehen. Ein Mädchen, in das sie verliebt gewesen war. Ihre Liebe vor ihrer jetzigen. Und das hatte ihr das Herz gebrochen. Aber sie hatte sich geschworen, ihr zu folgen. Seitdem war sie depressiv, tat sich weh, wurde aggressiv, suchte sich Freunde in den falschen Kreisen, begann Drogen zu nehmen... Es ging alles so verdammt schnell. Sie lächelte, Tränen schossen ihr in die Augen, sie schlug gegen die Wand, die Wunde platzte wieder auf. Fluchend verband sie ihren Arm. Sie wusste, dass die Stellen, an denen man sich weh tat, für etwas sprachen. Ihr Psychologe hatte ihr das damals erklärt. Ihr gesagt, sie hätte eine Borderline- Persönlichkeitsstörung. Und wenn schon. Sie wollte nicht alt werden. Ihr Freund war Sid und sie würde seine Nancy sein. Und da war er wieder, dieser Drang einfach jetzt alles hin zu schmeißen. Keinen Bock mehr aufs Abi. Sie hatte schon elf Jahre auf dem Gymnasium gelitten. Ihr Perfektionismus und ihre Intelligenz trieben sie dazu, trotz der Drogen eine der leistungsstärksten zu sein, aber wie sie sich damit quälte merkte niemand. Der Leistungsdruck machte sie fertig. Ihre Eltern merkten nichts von alledem. Sie unterschreiben eine 15 Punkte Arbeit nach der anderen und fragten sie schon bei 12, was denn los gewesen sei. Ihre Eltern waren streng. Aber unachtsam. Hätten sie sonst nicht gemerkt, dass etwas nicht stimmte? Wenn sie wüssten. Wenn sie wüssten, dass sie jedes Mal betrunken, bekifft und high mit ihrem Freund auf dem Bett lag und in perfektere Welten abtauchte. Wenn sie wüsste, was sie sich schon durch die Nase gezogen hatte, wie bunt die Welt sein konnte, wie es sich anfühlte zu fliegen. Wenn sie wüssten, woher ihre kaputte Stimme und die Atemlosigkeit kamen. Aber sie selbst sah nur Vorteile. Die Realität hinter sich lassen. Die Schmerzen, die von ihrem kaputten Rücken ausgingen, einfach ausschalten. Man hatte ihr früh gesagt, dass sie nicht all zu alt werden würde, da ihre Wirbelsäule kaputt war. Alles egal. So weit würde sie es nicht kommen lassen. Sie wollte ihren Tod selbst bestimmen, sich lachend in den Abgrund stürzen und nichts bereuen. Sie wollte niemals im grauen Alltag eintauchen. Sie wollte leben um zu sterben, sterben um gelebt zu haben. Sie wollte jetzt. Eine SMS an ihren Freund, sie würde rüber kommen. Er wusste Bescheid. Sie packte das Heroin ein, ein paar Klingen, die ihr zeigen würden, ob sie wirklich weg war oder nicht. Sie würde jetzt zu ihrem ganz persönlichen Sid fahren.
Als sie da waren standen da noch ein paar andere rum. Ihre alte Freundin, die jeher Drogen ablehnte und die einzige war, die clean war und schon seit Jahren versuchte, es allen abzugewöhnen. Sie passte so gar nicht in diesen Kreis, aber alle akzeptierten sie, trotzdem lachten sie sie manchmal aufgrund ihrer Einstellung aus. Aber es war schon gruselig, wenn sie mit finsterer Miene da saß, während einer nach dem anderen high wurde und manche auch hin und wieder nicht zurück kamen und sie meinte, sie habe es gewusst, sie sollen die Augen auf machen. Aber niemand machte die Augen auf. Alle schlossen sie um in die schöne bunte Welt abzutauchen, um zu fliegen, um nichts zu spüren außer Glück. Da waren die zwei besten Freunde ihres Freundes. Sie waren beide schon ziemlich fertig, wollten aber leben. Sie wollten es sich nur verschönern. Verstehe ich nicht, dachte sie. Als sie auf ihren Freund zuging, blickte sie sich um. Bongs, Shishas und Joints lagen auf dem Teppich herum, ein paar Tüten mit Inhalten, die irre Vorstellungen versprachen. Oder aber auch Kopfschmerzen und Übelkeit. Sie hatte es alles schon durch. Sie wusste, was welche Illusionen für welche Zeit hervorrief. Nur eines hatte sie noch nicht probiert. Sie hatte Angst vor Spritzen. Aber durch die Nase ziehen wollte sie es sich nicht. Das machen nur die Weicheier, sagte ihr Freund. Sie wollte kein Weichei sein. Ist es soweit? fragte er sie. Ja, antwortete sie. Ich will nicht mehr, fügte sie in Gedanken dazu. Sie war aufgeregt, ihr Bauch kribbelte. Gleichzeitig war sie unheimlich ruhig, sie zitterte nicht mal. Ihre Freundin beobachtete sie skeptisch von der Seite, das Getuschel kam ihr seltsam vor, das sah sie in ihren Augen. Sei unbesorgt, versuchte sie ihr zu sagen, ich gehe an einen besseren Ort und dann musst Du Dir auch keine Sorgen mehr machen. Sie lächelte. Die Miene des Mädchens verfinsterte sich. Sie scheint meine Gedanken gehört zu haben, dachte sie, während ihr Freund den Ledergürtel an ihrem Arm immer enger zog. Es kribbelte bereits in ihrer Hand. In die andere Hand legte sie eine Klinge. Das war die beste Art um festzustellen, wie weg man war. Sie blickte sich um. Sicher? flüsterte ihr Freund ihr ins Ohr. Sicher, sagte sie. Sie schloss die Augen. Er setzte an, es piekste kurz. Er hatte die Vene getroffen, die Droge schoss mit ihrem Blut sofort Richtung Herz, raste durch die Kammern, strömte in die Aterien und in jeden Winkel ihres Körpers. Ihre wurde schwindlig. Sie sah die Klinge verschwommen in ihrer Hand, sie wollte ansetzen und durchziehen, bevor sie ganz weg war und tat es. Sie fühlte es nicht mehr. Sie nahm nur die Schreie der anderen wahr, es musste tief sein, es musste viel Blut sein, sie schloss die Augen und hörte auf zu kämpfen. Sie sah noch den Schatten des anderen Mädchens auf sie zustürzen, dann versank sie in ihrer Welt. Ihr Puls begann zu rasen, er wurde langsamer... Er verstummte... Ihr Freund saß neben ihr und fühlte an ihrem Handgelenk. Seine Finger waren blutüberströmt, Das Blut pulsierte nicht mehr aus der langen, tiefen Wunde, es floss nur noch. Nun setzte er sich seine eigene Spritze an, injizierte das Gift und legte einen Arm um sie, küsste sie noch einmal... Und lief ihr hinterher, in die andere Welt. Die offenen Wunden, die die beiden damit hinterließen sollten niemals wieder richtig verheilen, sie rissen jedes Jahr um diese Zeit wieder auf und ließen die hinterbliebenen leise aufschreien. Dass niemand sie davon abgehalten hat. Es mag schon länger her sein, aber der Schmerz würde nie verjähren.
Ja, das ist Mist...
Warum sollte man die nicht kennen? :)
Nur schade, dass man sie live nicht mehr zu sehen bekommt :o
Am 1. November waren es 5 Jahre... Naja... Ja, ich bin das Mädchen, das die Drogen abgelehnt hat... Ich konnte es so aus ihrer Sicht schreiben, weil ich sie gut genug dazu kannte und weil sie vieles einfach auch in ihrem Brief an uns so formuliert hat. Um ehrlich zu sein war sie der erste Mensch, in den ich mich verliebt habe... (; Diesem Ereignis habe ich ein paar weniger schöne Dinge zu verdanken... Und ich hab es jetzt nach fünf Jahren halt auch endlich mal geschafft, mir das mehr oder weniger gut von der Seele zu schreiben... Vielen Dank auf jeden Fall...
Ja, das Lied kenne ich auch... Schön, dass noch wer die Musik der Wohlstandskinder kennt... (:
Es hat dich bestimmt viel Überwindung gekostet, das alles niederzuschreiben, jedenfalls stelle ich es mir sehr, sehr schwer vor... Dafür ist aber echt gut geworden, so, dass ich jetzt noch darüber nachdenke... Warst du die Freundin, die Drogen ablehnt?
Zum Lied: Die Band kannte ich noch gar nicht, aber das Lied erinnert mich etwas "Als du am Boden lagst" von den Wohlstandskindern.
Zumal es... Wirklich eine wahre Geschichte ist, die morgen ihren 5. Jahrestag feiert... Ich musste mir das mal von der Seele schreiben... Naja... Es ist schon eine recht schreckliche Geschichte, so etwas wünsche ich ehrlich gesagt niemandem... Traurig ist es wirklich...
Gib bei Youtube mal den Titel meines Textes ein... Dann findest Du ein Lied der Band Herrenmaganzin... (;
http://www.youtube.com/watch?v=ipzOg5U_9XE
WOW, richtig gut! Ich weiß noch gar nicht ganz, was ich dazu schreiben soll, es ist so traurig...