Beruferoulette

Die neue Landflucht

Fünf Uhr morgens aufstehen und den Stall ausmisten – klingt nicht gerade verlockend. Ist Landwirtschaft out? Die angehende Landwirtin Isabell-Marie Cyrener erzählt, warum Bäuerin ihr Traumberuf ist.

10. April 2015 - 13:09
SPIESSER-AutorIn AnneEutin.
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AnneEutin Offline
Beigetreten: 11.12.2014

Landwirt/in

Dein Traumjob, denn du ...
• bist bei Wind und Wetter gerne draußen.
• kannst gut mit Zahlen umgehen – denn als Landwirt bist du immer auch selbstständiger Unternehmer.

Das gehört dazu:
• Acht Stunden Schlaf sind Utopie, zumindest bei der Tierhaltung. Von fünf bis 23 Uhr dauert ein normaler Arbeitstag.
• Keine Scheu vor Dreck an den Händen – und ja, mit Dreck ist durchaus das gemeint, was bei der Kuh hinten rauskommt …

Wie du es wirst:
• du absolvierst eine dreijährige Ausbildung zum/zur Landwirt/in.
• du studierst Agrarwissenschaften an einer Fachhochschule oder Universität, z.B. an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.

Auf dem Hof der Familie Cyrener gibt es 100 Milchkühe, die pro Tag etwa 2.500 Liter Eutersaft produzieren. Dennoch findet man bei Isabell-Marie zu Hause nicht einen Tropfen Milch. Meinen Kaffee muss ich mit Pulver anrühren. Ist das ein schlechtes Zeichen? Die 20-Jährige schmunzelt und meint, dass dies nichts mit ihrer Arbeit zu tun habe – die Familie trinke eben keine Milch. Die Familie, das sind ihre Eltern und der ältere Bruder, der mittlerweile den Hof leitet. Gerade werkeln Herr und Frau Cyrener in der Scheune, die zum zweiten Wohnhaus ausgebaut wird. Aus dem Fenster geht der Blick hinaus in eine sanfte Hügellandschaft, die gerade weiß eingeschneit ist. Man erahnt nur, dass es irgendwo da draußen Städte mit betonierten Fußballplätzen und glänzenden Fassaden gibt.

Wie weit das weg ist, weiß Isabell-Marie genau. Sie durfte schon mit 16 allein Auto fahren, weil der Schulweg mit dem Bus anderthalb Stunden gedauert hätte. Auch heute, wo sie in Stuttgart Agrarwissenschaften studiert, kommt sie jedes Wochenende heim. Seit sie als Kleinkind zwischen Kuhbeinen herumstromerte, wollte sie Landwirtin werden. Selbst als Teenagerin hatte sie keine Zweifel. Dennoch wurde sie von Mitschülern oft komisch angeguckt, wenn sie am Wochenende keine Zeit hatte, weil Gülle ausgefahren werden musste. „Der Umgang mit den Tieren macht alles wett“, findet sie. Dabei zu sein, wenn die Tiere heranwachsen, ist für sie etwas Besonderes, etwas, das ein Stadtmensch nicht kennt.

Keine Massenveranstaltung

Ihr Alltag ist anstrengend und nichts für Langschläfer: Früh um fünf steht Isabell-Marie im Stall. Melken, Kälber tränken, Saubermachen. Nachmittags ist sie im Wald unterwegs – zwei Hektar bewirtschaftet die Familie. Die Kettensäge führt Isabell-Marie so sicher wie den Eyeliner – denn entgegen dem „Bauer sucht Frau“-Klischee ist sie keine Landpomeranze. Viel Zeit zum Shoppen hat sie allerdings nicht: Nach der Aufforstung geht’s wieder zum Melken und Saubermachen, dann folgt der letzte Kontrollgang. Gegen 23 Uhr ist Feierabend. Dazwischen kommen noch bis zu drei Stunden am Computer: Jedes neugeborene Kalb muss dokumentiert, Flächenberichte angefertigt und Daten ausgewertet werden. Die Kühe tragen einen Transponder, der etwa Infos zur Fütterung liefert. Die Kuh wird zur Produktionseinheit und die Produktionskapazität maximiert. Isabell-Marie stellt klar: „Wir sind Unternehmer, kein Ferienbauernhof.“ Dass ein Tier dennoch ein Tier bleibt und so behandelt werden muss, unterstreicht sie dabei. Die Kühe stehen an erster Stelle: An Weihnachten gibt es kein Essen, bis nicht jede Kuh ihr Stückchen Brot bekommen hat.


Isabell-Marie ist mit der Kettensäge genauso sicher wie mit dem Kajal.

Isabell-Marie ist auch politisch engagiert. Für den Bauernverband fliegt sie bis zu vier Mal die Woche von
Stuttgart nach Nordrhein-Westfalen. Ein unglaubliches Pensum, zusammen mit Studium und Hof. Diese Energie kann nur jemand haben, der voll hinter seinem Lebensentwurf steht. Eines aber nervt sie: Das Bild, das gesellschaftlich und medial von Bauern gezeichnet wird. Der Verbraucher denke bei Landwirtschaft sofort an eingepferchte Schweine mit entzündeten Wunden. Ich sehe hier Kühe, die sich im Laufstall frei bewegen können und einen wachen Blick haben. Von April bis September stehen sie draußen auf der Weide. In dieser verschneiten sauerländischen Idylle scheint die Welt in Ordnung.

Text & Fotos: Anne Eutin

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