Wo andere nur drüber reden, lebt das Kollektiv „roots of compassion“ einfach vor, wie es anders gehen kann und man dem Kapitalismus entflieht. Mit Basisdemokratie, einer Menge Systemskritik und sehr viel Herzblut haben sie einen gut gehenden Vegan-Shop aufgebaut. SPIESSER Paul hat nachgefragt, wie das Arbeiten ohne Hierarchien eigentlich so funktioniert.
16. August 2018 - 13:11 SPIESSER-Autor PaulausMdorf.
Ganz dem eigenen Ansatz getreu, haben über alle Antworten von „roots of compassion“ alle Mitglieder des Kollektivs abgestimmt und man hat sich gemeinsam darauf geeinigt, was gesagt wird. Das hat zwar ein bisschen gedauert, aber das Warten hat sich gelohnt.
Paul: Was genau ist „roots of compassion“?
Wie alles begann: Mit leckeren veganen Rezepten
roots of compassion: Im weitesten Sinne machen wir alles was mit Veganismus zu tun hat: Wir verlegen Bücher, lassen möglichst ökologisch und fair produzierte Klamotten mit veganen Botschaften bedrucken, verkaufen Lebensmittel, Schuhe usw. Wir sind aber nicht nur auf Veganismus und Tierrechte festgelegt, sondern versuchen auch andere kritische Ideen, wie Antirassismus, Geschlechtergerechtigkeit und Feminismus, politischen Aktivismus oder Body Positivity, zu verbreiten.
Wie habt ihr euch gefunden?
Die beiden GründerInnen, haben zunächst auf Konzerten selbstgebackenen, veganen Kuchen verkauft und dazu entsprechendes Info-Material ausgelegt, bis sie gemerkt haben, dass da ein großes Interesse besteht. Die Idee wurde also weiterentwickelt und kurze Zeit später gab es dann z. B. eigene Accessoires, wie T-Shirts, Buttons, Magnete mit veganen Botschaften. Im Laufe der Zeit ist daraus unser Online-Shop mit inzwischen über 1000 Artikeln geworden. Ab 2009 haben wir uns dann zu einer Genossenschaft gewandelt und sind nun seit längerer Zeit zu acht. Eine gute Anzahl, die bei uns gerade auch hinsichtlich der Organisation und Absprachen untereinander sehr gut funktioniert. Es war dabei nie so, dass eine Person Chef gewesen ist.
Das Arbeiten im Kollektiv
Ihr seid alle also quasi ohne Hierarchie, ist das korrekt?
Wir versuchen es zumindest. Es verdienen alle den gleichen Nettostundenlohn und die wichtigsten Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Sobald eine Person ein Veto gegen eine Vorgehensweise hat, wird sie nicht umgesetzt. Wir haben wöchentlich ein Treffen, Plenum genannt.
Außerhalb des Plenums treffen wir aber auch viele Entscheidungen autonom oder in Arbeitsgruppen, die sich meist langfristig, manchmal aber auch nur projektbezogen bilden. In den AGs wird natürlich auch wieder im Konsens entschieden. Wir entscheiden also nicht absolut jedes Detail gemeinsam, und wir haben uns auch – nach Interessen und Fähigkeiten – spezialisiert und haben Arbeitsbereiche, die wir möglichst transparent gestalten.
Wie oft kommt so ein Veto vor?
Es kommt sehr selten vor, dass sich unsere Meinungen so sehr unterscheiden, dass völlig unterschiedliche Dinge im Raum stehen und jemand ein Veto hat. Es geht mehr um Detailfragen und darum, verschiedene Möglichkeiten für die konkrete Vorgehensweise auszuloten.
Gibt es abgesehen davon, dass es menschlich passen muss, irgendwelche Bedingungen, um bei euch mitzumachen? Sucht ihr aktuell Leute?
Im Moment suchen wir keine neuen Leute. Arbeit gäbe es zwar genug, allerdings kommen wir im Moment mit acht Personen an unsere finanziellen Grenzen. Und bezüglich der Bedingungen denke ich, dass das Konzept des Konsens nur funktionieren kann, wenn man von vornherein auf einer gemeinsamen idealistischen Basis steht, nicht nur was Tierrechte und politische Einstellung an sich angeht, sondern was auch den Umgang untereinander betrifft: Respektvoll und immer auf Augenhöhe.
Ein gemeinsames Ziel: Zeigen wie es anders geht
Ist Veganismus Pflicht oder reicht vegetarisch zu leben auch, um bei euch dabei zu sein?
Eine vegane Lebensweise ist tatsächlich eine Voraussetzung, um Teil des Kollektivs zu werden.
Für uns ist das selbstverständlich, denn aus unserer Sicht gibt es keine moralische Rechtfertigung für eine Lebensweise, die Ausnutzung von Tieren befürwortet. Als Kollektiv, welches für einen respektvollen Umgang mit unserer Umwelt, Menschen und Tieren steht, setzen wir diesen Maßstab dann natürlich auch an neue Leute.
Habt ihr irgendwelche langfristigen Ziele, auf die ihr hinarbeitet?
Unsere Motivation ist die Vorstellung, in einer herrschaftslosen und ausbeutungsfreien Welt zu leben. Diese Idee soll Einzug in die Gesamtgesellschaft finden, denn die bisherige Maxime des Kapitalismus heißt: Gewinn ohne Rücksicht auf Verluste bei Menschen, Tieren und der Umwelt. Wir versuchen nach innen, mit dem wie wir organisiert sind, und nach außen, mit den Inhalten, die wir verbreiten, auf eine möglichst hierarchiefreie, emanzipierte Gesellschaft hinzuarbeiten, in der alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts usw. mit anderen empfindungsfähigen Wesen gleichberechtigt sind und das Recht auf Existenz und Unversehrtheit für alle gilt.
Also ist es ein idealistisches Projekt, was ganz dem antikapitalistischen Ansatz entspricht?
Antikapitalistisch würde ich das nicht nennen, weil wir mit dem, was wir tun, teilweise zum Erhalt des kapitalistischen Systems beitragen, indem wir Steuern generieren und zum Konsum anregen. Aber wir versuchen, so weit es uns in diesem Rahmen möglich scheint, kapitalismuskritisch zu sein. Aus unserer Sicht braucht es diese gelebten Alternativen, die auf Solidarität und fairem Umgang miteinander beruhen und so versuchen, die Welt zu einer einer besseren werden zu lassen.
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